Zu den Wurzeln der Wut

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Alex Schulmans 'Die Überlebenden' ist mir in sehr guter Erinnerung geblieben, denn es geht darin um traumatisierende Kindheitserlebnisse. Deshalb war ich sehr gespannt auf den Nachfolgeband und wurde nicht enttäuscht.
Auch hier geht es um das familiäre Miteinander. Alex realisiert, dass seine Familie (seine Frau und seine Kinder) bisweilen Angst vor ihm hat. Dies beunruhigt ihn, denn er ist davon überzeugt, dass er eine Wut in sich trägt, die wegen unerheblichen Anlässen plötzlich ausbricht. Woher kommt diese Wut?
Nachdem er gemeinsam mit einer Psychologin festgestellt hat, dass familiäre Disharmonien sich besonders häufig in der Familie mütterlicherseits befinden, beschließt er, dem Phänomen auf den Grund zu gehen. Er befürchtet, dass diese innerlich festgelegte Wut sonst auch im Verhalten seiner Kinder Fuß fasst. Also beginnt er mit Recherchen und fokussiert diese auf seinen Großvater Sven Stolpe, der ein erfolgreicher Schriftsteller war und in seinen Werken viel Persönliches einfließen ließ.
Der Roman beinhaltet drei Handlungsstränge. Zunächst die Gegenwart, in der sich Alex der Gefahr bewusst wird und handelt.
Sehr signifikant ist das Jahr 1932, denn da lernt seine Oma Karin, die bereits mit Sven verheiratet ist, ihre große Liebe kennen und lässt sich darauf ein. Aber ihre Ehe ist ein Gefängnis, aus dem sie nicht ausbrechen kann, eine 'Amour fou', sehr leidenschaftlich, aber mit folgenschweren Auswirkungen für die Liebenden. Als Sven Karins Untreue bemerkt, macht er ihr das Leben zur Hölle, und es gibt für Karin kein Entrinnen.
Der dritte Handlungsstrang beschreibt persönliche Erinnerungen, die Alex durch Besuche bei seinen Großeltern in den späten 80ern bewahrt hat und die seine Gedanken untermauern.
Der Autor beschreibt atmosphärisch dicht, wie zerrissen sich Karin zwischen den beiden Männern fühlt und wie verfahren ihre Lage ist. Man leidet förmlich mit ihr. Überhaupt empfindet man tiefes Mitleid, denn schon kurz nach der Verlobung fängt sie an, sich Svens Wünschen unterzuordnen und damit ihr eigenes Glück aufzugeben. Sven erkennt ihre prekäre Situation und demütigt sie auf brutale Weise, manchmal nur wegen Kleinigkeiten. Einige Szenen sind sehr berührend, und man muss erstmal darüber nachdenken.
Der Schreibstil gefällt mir außerordentlich gut, denn er vermittelt Spannung so intensiv, wie sie in vielen Krimis nicht entsteht. Deshalb möchte ich eine eindeutige Leseempfehlung aussprechen.