Kriminalistischer Zündstoff en masse

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
rippchen Avatar

Von

Ein „Baustellen-Mord“ an einem jungen Mann, der Selbstmord einer jungen Frau – und Liebe in unterschiedlichen Zusammenhängen, aus unterschiedlichen Beweggründen, mit unterschiedlichen Folgen.
Mit dieser Konstellation hat es Kommissar Tino Dühnfort am Beginn von Inge Löhnigs jüngstem Kriminalroman „Verflucht seist Du“ zu tun. Ob es eine Verbindung zwischen beiden Vorfällen gibt, inwieweit das Drogenmilieu involviert ist, welche folgenschweren Konsequenzen Cyber-Mobbing heraufbeschwört und welche Rollen die jugendlichen Hauptakteure, ihre Clique und ihre Familien spielen: Dieses weite Feld haben Dühnfort, Alois und ihre neue Kollegin Kirsten auf 430 Seiten zu beackern. Neben einer anfänglich holprigen beruflichen Kooperation kämpft jeder der Ermittler darum, auch im eigenen Privatleben die unterschiedlichsten Situationen und Problemchen in den Griff zu bekommen.
Grundsätzlich laufen in den durchgängig recht kurzen (vier- bis sechsseitigen) Kapiteln stets mehrere Handlungsstränge parallel zueinander, um sich im großen Finale zu einem großen Ganzen zusammenzufügen.
Inhaltlich beginnt der Kriminalroman vielversprechend und nimmt auch auf den letzten 100 Seiten an Fahrt auf. Dazwischen allerdings geht der Spannungsaufbau zuweilen nur schleppend voran, gelegentlich droht gar ein langatmiger Leerlauf: Welche Rolle etwa spielt der mehrfach diskutierte Mordfall von Dühnforts Lebensgefährtin Gina in diesem Zusammenhang? (Oder ist mir da was entgangen, etwa in einem der - nicht gelesenen - vorherigen Bücher der Autorin???)
Der aktuelle Fall ist dank vieler ermittlerischer Details meiner Meinung nach komplex genug und benötigt nicht noch zusätzlichen kriminalistischen Zündstoff (bzw. taktische Leser-Ablenkung!?). Der Leser wird ohnehin sehr akribisch auf falsche Fährten gelockt, mit immer neuen Beziehungskonstellationen und Handlungssträngen konfrontiert. Und obwohl dabei auch immer wieder kleine Wahrheiten und Resultate häppchenweise aufgetischt werden, versickern viele Ansätze doch ganz und gar im Nichts: Vielleicht wie im richtigen (Berufs-)Leben, aber im literarischen Unterhaltungsgenre möglicherweise eine doch etwas ermüdende ermittlerische Kleinkrämerei.
Neben dem Handlungsaufbau zieht Löhnig ihr Werk auch stilistisch konsequent durch: Konsequent und zuverlässig, leider aber auch ohne stilistische Höhen und Tiefen, oder besser: ohne Ecken und Kanten. Da fehlten beim Lesen ein wenig die Abweichungen vom (etwas langatmigen) schreibtechnischen Standardprogramm. Als „sprachlichen Ausreißer“ konnte ich lediglich die Stelle mit dem radebrechenden Deutsch des polnischen Handwerkers zu Beginn des Krimis (Highlight schon in der LP!) ausmachen – übrigens auch meine einzige „Schmunzel-Stelle“ im Roman.
Ein wenig mehr inhaltlicher sowie stilistischer Pep hätte diesem Werk meiner Ansicht nach durchaus gut getan. Angesichts des rasanten Finales und des interessant konstruierten Falles mit unerwarteten Ereignissen zum temporeichen Ende hin sind jedoch vier Sterne immer noch drin.