Empathie - ja oder nein?

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abibliophobia Avatar

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Das Cover ist Geschmackssache, ich bin kein Fan großer Blumen, aber es fällt auf jeden Fall auf. Der Titel ist äußerst passend und der Klappentext vielversprechend. Als Erstes kam mir in den Sinn, dass das Thema wirklich mal neu ist. Persönlich habe ich keine Bezugspunkte dazu, da ich noch nie Geliebte war 😊, umso spannender ist das Thema. Ich verurteile Betrug seit und wollte einfach wissen, inwiefern das Buch einen Einfluss auf meine Meinung und Werthaltung hat – würde ich vielleicht sogar Mitleid mit der Protagonistin haben?
Bücher und ihre Themen müssen einen reizen und das ist hier definitiv der Fall. Wie denke ich über das Thema nach Abschluss der letzten Seiten? An den Schreibstil musste ich mich erst gewöhnen, als organisierter aufgeräumter Mensch machen mich die eingerückten Zeilen etwas nervös 😊 Auch die Geschwindigkeit mit der man die Seiten liest (da sie wenig Text beinhalten) ist neu für mich. Die direkte Ansprache an ihren toten Geliebten ist sehr eindringlich, man spürt die Trauer und Verzweiflung, noch bevor man irgendetwas über diese Person erfährt.
Ein Verlust ist ein Verlust und jeder hat das Recht auf seine Art zu trauern.
Ein paar Sätze treffen mitten ins Herz wie z.B. „Woher sollen wir wissen, welche Tage später einmal Wendepunkte sind?“. Die Sprache ist klar und schonungslos, beizeiten derb, aber einen Liebesroman mit schwülstigen Sätzen hatte ja auch niemand erwartet. Gekonnt werden das Kennenlernen und der Anfang der Beziehung in die Tragödie eingesponnen. Die Spannung bleibt, da der Leser zu Anfang noch nichts über den Tod des Geliebten erfährt. Trotz weniger Worte auf den einzelnen Seiten, kommt unfassbar viel Inhalt mit, damit hätte ich wirklich nicht gerechnet. Zwischendurch entdeckt man immer wieder liebevolle Elemente zwischen den knallharten Sätzen: an einigen Stellen fast poetisch und dann wieder kühl und brutal. Obwohl ich skeptisch war und es nicht wollte, muss ich sagen, dass mich das Buch schnell gefesselt hat. Der Schreibstil zieht in einen Bann, ob man will oder nicht.
Geschickt werden die Verletzungen der Vergangenheit eingewebt bis zur schwierigen Kindheit zurück, sehr gut dargestellt. Die Autorin hat einen sehr guten Blick für Details, Schilderungen sind niemals überflüssig, sondern sagen immer etwas aus. Zwischendurch nervt das Weinerliche und Besitzergreifende allerdings sehr. Es wird an einigen Stellen so getan, als wäre eine Affäre etwas Gesellschaftsfähiges, das man sich ab und an mal gönnen darf. Natürlich mag man die Protagonistin nicht, sie ist kalt, lügt, ist gewissenlos und drängt sich nach dem Tod wie eine Psychopathin ist das Leben und die Familie der Witwe. Aber ein wenig versteht man sie doch und am Ende stellt sich die Frage: Würde man es vielleicht ebenso machen, wenn man solch einen Verlust erlitten hat und macht uns genau diese Frage vielleicht sogar so große Angst?