Spannend inszeniertes Familiendrama

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
alex_buchgeplauder Avatar

Von

Eigentlich wollte ich ja nicht mehr quer in Reihen einsteigen. Mit VERLASSEN von Eva Björg Aegisdottir habe ich es trotzdem getan, weil mich der Klappentext extrem angesprochen hat. Das Buch liest sich aber auch wie ein Stand Alone. Vorwissen ist nicht nötig. Kein Wunder, denn ich habe dann herausgefunden, dass es sich wohl um eine Art Prequel handelt und dieser Band vor den bereits erschienenen drei Büchern der Mörderisches Island-Reihe spielt. Gut für mich.
.
Darum geht's: Die Mitglieder der schwerreichen Familie Snaeberg versammeln sich in einem Hotel zu einem Familienfest. Dann verschwindet jemand…
.
Der Klappentext hat bei mir Agatha Christie-Vibes ausgelöst, weshalb ich das Buch unbedingt lesen wollte. Die Handlung braucht etwas Anlaufzeit. Ich musste mich erst mal in der Geschichte zurechtfinden und die verschiedenen Familienmitglieder kennenlernen. Um den Überblick zu behalten, ist der vorangestellte Familienstammbaum sehr hilfreich. Sobald ich alle Personen zuordnen konnte, mich an die isländischen Namen und die Erzählweise gewöhnt hatte, konnte ich komplett in die Story abtauchen.
.
Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven sowie zeitlich leicht verschachtelt erzählt. Ermittler Saevar spielt allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Er bleibt eine blasse Randfigur, dessen Part sich auf wenige kurze Zwischenkapitel beschränkt. Die Handlung ist vielmehr auf die Familienmitglieder fokussiert, von denen eigentlich keiner sympathisch dargestellt wird. Es gibt viele Probleme, Geheimnisse und Zwistigkeiten untereinander. Alkohol fließt in Strömen. Auch andere Substanzen sind im Spiel. Entsprechend unzuverlässig sind die jeweiligen Schilderungen. Ob die Hotelangestellte Irma wirklich eine neutrale Beobachterin ist, scheint ebenfalls vom ersten Moment an fraglich.
.
Dieser Krimi kommt langsam, aber gewaltig. In kammerspielartigem Stil entfaltet sich hier ein intelligent inszeniertes Familiendrama. Von verschiedenen Seiten nähern wir uns langsam immer mehr dem Kern der Sache. Dieser nordisch-unterkühlte und ruhige Krimi baut aber unterschwellig immer mehr Spannung auf. Stück für Stück verdichtet sich die Handlung, alle Fäden laufen zusammen und alle offenen Fragen werden beantwortet. Dazu gehört vor allem, wer hier überhaupt das Opfer ist, denn das wird bis kurz vor Schluss offen gehalten.
.
VERLASSEN ist ein faszinierender Island- Krimi. Er überzeugt mit einem starken Setting, gut gezeichneten Charakteren und einer etwas speziellen aber für meinen Geschmack sehr stimmigen Erzählweise. Psychologisch hochspannend und meisterlich erzählt. In diesen Punkten kann ich dem Klappentext voll und ganz zustimmen.