Wenig Ermittlungsarbeit und kaum Spannung

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"Verlassen" ist der vierte Island-Krimi von Eva Björg Aegisdóttir, ist aber problemlos zu lesen, ohne die vorigen drei Krimis zu kennen. Auch ich habe diese noch nicht gelesen, für mich war es das erste Buch der Autorin.

Es geht um die schwerreiche und in Island sehr bekannte, fiktive Familie Snaeberg, die sich für ein ganzes Wochenende zu einem exklusiven Familientreffen in einem entlegenen isländischen Hotel einfindet, um den 100. Geburtstag des vor ein paar Jahren verstorbenen Familienpatriarchen zu feiern. In dieser Familie sind die Abstände zwischen den Generationen kurz, weshalb sich vier Generationen locker ausgehen, samt Verzweigungen mit Tanten, Onkeln, Cousins und Cousinen, angeheirateten neuen und älteren Partnern und Adoptivkindern. Gleich am Anfang des Buches findet sich praktischerweise ein Stammbaum der Familie, auf den ich während des Lesens auch immer wieder mal geschaut habe, um den Überblick über die Verwandtschaftsverhältnisse zu bewahren.

Die Familie hat also sehr viel, hauptsächlich ererbtes, Vermögen, das auf das vom verstorbenen Patriarchen gegründete Familienunternehmen zurückgeht. Besonderen Stil oder Klasse hat die Familie nicht, im Gegenteil, das ganze Wochenende über wird sich ständig besoffen, das geht von den ältesten Familienmitgliedern über die mittleren Alters bis zu den jüngeren, und von einigen auch Drogen genommen. Würde nicht immer wieder erwähnt werden, dass es sich um die schwerreiche Familie Snaeberg handelt, hätte ich vom Verhalten und Habitus der beteiligten Personen nicht darauf geschlossen, dass es sich hier um eine gehobene Gesellschaftsschicht handeln könnte.

Der Krimi ist aus verschiedenen Perspektiven geschrieben: wir erleben das Wochenende durch die Augen mehrerer Familienmitglieder: die Mitte 30-jährige und jung Mutter gewordene Petra, die mit ihrer leidenschaftslos gewordenen Beziehung zu ihrem Mann und den ihr entgleitenden Teenager-Kindern, insbesondere der ihr fremd gewordenen Tochter Lea, kämpft. Die jugendliche Lea, die sich nach Liebe und Zugehörigkeit sehnt, viel auf Social Media postet und dabei noch kein Bewusstsein für die damit verbundenen Risiken entwickelt hat. Tryggvi, der neue Partner an der Seite von Oddny, Petras Tante und Leas Großtante, mit einer eigenen schweren Vergangenheit, beruflich Tischler und sich in diesem reichen Milieu noch nicht sehr angekommen fühlend. Eine junge Frau vom Serviceteam des Hotels, die durch ihre Tätigkeit viel beobachtet und mitkriegt. Und schließlich zwei seltsam blass bleibende Ermittler, die am Sonntag eine Leiche gefunden haben, Spuren sammeln und die Familie befragen.

Das Buch war ganz nett und unterhaltsam zu lesen, richtige Spannung hat sich bei mir aber lange nicht aufgebaut. Es war auch kein typischer Krimi, bei dem man viel miträtseln kann, dazu sind die Ermittler und ihre Arbeit viel zu blass geblieben und kamen immer nur zwischendurch in sehr kurzen Kapiteln vor. Milieustudie ist es auch keine so richtige, dafür war mir das geschilderte schwerreiche Milieu insgesamt in der Charakterisierung der Personen und ihrer Beziehungen zueinander zu wenig glaubhaft. Am meisten im Gedächtnis bleiben wird mir wohl noch die isländische Kulisse aus Lavalandschaft, verschneiten Bergen im Hintergrund, Klippen, Nebel, Schneestürmen und Meer sowie das reduktionistisch gebaute, moderne Hotel darin.

Es war ein ganz nettes Buch, das man mal zwischendurch zur Unterhaltung lesen kann, aber das mir darüber hinaus nicht besonders viel gegeben hat.