Eher Gesellschaftskritik als Krimi

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buchling zamonia Avatar

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Im Roman „Vertrauen“ von Dror Mishani lernt man den Ermittler Avi Avraham kennen. Er leitet ein Ermittlerdezernat für Gewaltdelikte in Tel Aviv. Privat geht es Avi tatsächlich gut, anders als es üblicherweise in Krimis der Fall ist.

Dafür ist er aber beruflich sehr unglücklich und richtiggehend frustriert. Er sieht keinen Sinn mehr in seiner Arbeit, da er die Verbrechen nicht ungeschehen machen kann. Er meint daher, das er den Angehörigen von Opfern eh nicht helfen kann, das Opfer bleibt Opfer (oder sogar tot).

Diese Unzufriedenheit wird dadurch verstärkt, daß er einen neuen Vorgesetzten hat.

Im Roman wird man als Leser mit zwei Fällen konfrontiert, die anfangs nichts miteinander zu tun haben.
Zum einen ein tot aufgefundener Tourist, der angeblich beim Mossad gearbeitet haben soll. Zum anderen ein ausgesetztes Neugeborenes.

Avi kümmert sich um den ermordeten Touristen, da er sich hier mehr Spannung für sich selbst erhofft, und überlässt den vermeintlichen Routinefall des ausgesetzten Babys seiner Mitarbeiterin Esti.

Der Autor Mishani baut Spannung ein, indem er den zweiten Fall aus der Sicht der Täterin schildert, während der erste Fall aus der Sicht des Ermittlers Avi dargestellt wird.

Beide Fälle werden gleich gewichtet, was mich als Leser immer mal wieder irritiert hat, bin ich das aus unserem Kulturkreis nicht gewohnt. Allerdings durchaus eine Anregung zum Nachdenken, warum sollte das Leben eines ungewollten Babys "weniger wert" sein, als der Tod eines älteren Menschen?

Der Autor schafft es, beide Fälle bis zum Ende so zu entwickeln, daß ich mir nicht mehr sicher war, ob ich zwischen richtig und falsch unterscheiden kann. Wer sagt hier die Wahrheit, wer lügt?

Der Roman lebt von den Zwischentönen, der Gesellschaftskritik, zwischenmenschlichen Dramen sowie der Abwägung Gewissen versus Karriere.

Wer einen typischen Krimi will, ist hier falsch. Wer die "leisen" Zwischentöne bei Kriminalfällen bevorzugt, für den ist "Vertrauen" ein Muss.