Bewegender Krimi

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angie99 Avatar

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Da ist einmal Inspektor Avi Avraham, der in einer beruflichen Sinnkrise steckt. Ernüchtert stellt er fest: „Die meisten Fälle, in denen er in den letzten Jahren ermittelt hatte, waren tragische Gewalttaten gewesen, deren Aufklärung niemandem mehr geholfen hatte. (…) Es ist, als würde er nur in bedeutungslosen Kriegen kämpfen, die nicht zu gewinnen sind. Bei denen es nur Verlierer gibt.“ (S. 15) Bis sein Antrag auf Versetzung bearbeitet wird, schlägt er sich der Pflicht halber noch mit einem Bagatellfall herum: Ein Hotel in Bat Yam meldet einen Touristen, der verschwunden ist, ohne seine Zimmerrechnung zu bezahlen. Als Avraham im Hotel eintrifft, scheint sich der Fall schon von selbst erledigt zu haben – und weckt gerade deswegen des Inspektors Spürsinn…

Und da ist Liora, die etwas verheimlicht. „Sie hatte sich gut vorbereitet, und die Wohnung war so blitzsauber wie vor dem Pessachfest. Gut dreißig Jahre als Reinigungskraft hatten sie zu einer Expertin im Spurenverwischen gemacht.“ (S. 30) Sie wird verdächtigt, einen wenige Tage alten Säugling vor einem Krankenhaus abgelegt zu haben. Ist das Kind von ihr? Oder von einer ihrer jungen Töchter? Wieso behauptet sie ständig etwas anderes? Die Vernehmungen bezeichnet sie als „Teil ihres Plans“ – was hat Liora ausgeheckt, was will sie erreichen?

Während Avraham eher passiv und konturenlos wirkt, was wahrscheinlich auch an seiner darbenden Berufsmotivation liegt, ist Liora ist eine widersprüchliche Figur, die einerseits großmäulig und manipulativ auftritt, während sie in ihrem Inneren etliche Verletzungen und ihren Glauben an Gottes Eingreifen pflegt, was sie umso interessanter macht.

„Vertrauen“ ist ein typischer Ermittlungskrimi, wobei er sich fast ausschließlich auf die psychologische / zwischenmenschliche Ebene konzentriert, in dem sich die Wahrheit mithilfe von Vernehmungen und Gesprächen langsam herauszuschälen versucht. Schießereien und Verfolgungsjagden sucht man hier vergebens. Es wird eher philosophisch: „… in anderen Augenblicken begriff er, dass das, was andere für Paranoia halten, der einzige Weg ist, sich von Wahrheiten zu befreien, die als selbstverständlich gelten.“ (S. 340)

Ich persönlich war von der ersten Seite an gefesselt und ließ mich gerne von Andeutungen zu eigenen Lösungsversuchen hinreißen und von einigen Wendungen überraschen lassen.
Außerdem gefällt mir, wie es der Autor versteht, die Atmosphäre des modernen Israels einzufangen. Er schneidet immer wieder Themen an, die auf die besondere Vergangenheit und die faszinierende wie schwierige Multikulturalität dieses Landes aufbauen. Oder schenkt uns kurze, aber wirkungsvolle Einblicke in den israelischen Alltag.

Das Ende dieses Krimis wartet nicht mit einer völligen Klärung auf, was für manche vielleicht etwas unbefriedigend sein mag – mich hat es jedoch sehr bewegt zurückgelassen.

Während mich „Drei“ nicht ganz überzeugen konnte, habe ich hier einen so spannend aufgebauten Krimi erlebt, dass ich gerne noch die bisherigen Fälle von Avi Avraham kennenlernen möchte.