Schuld - Hoffnung - Leben

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Anne Gesthuysen ist mir als Journalistin und auch als Schriftstellerin bekannt, allerdings habe ich den Vorgängerband "Wir sind schließlich wer" bislang noch nicht gelesen. Somit musste ich die Hauptfigur Pastorin Anna von Betteray, deren Mutter Mechthild, Annas Schwester Maria, beider Großtante Ottilie und die anderen Dorfbewohner Alpens am Niederrhein zunächst kennenlernen. Doch es gelang mir schnell, in diesen Mikrokosmos einer Dorfgemeinschaft einzutauchen.

Den Handlungsschwerpunkt der Geschichte bildet eine Art Kriminalfall: Die geistig behinderte Raffaela wird in einem Graben bewusstlos aufgefunden und liegt im Krankenhaus im Koma. Und schon produziert die Gerüchteküche ausreichend Nahrung, gibt es Klatsch und Tratsch, werden eilfertig Verdächtigungen über eine Gewalttat ausgesprochen. Nicht nur die Polizei - in Gestalt des LKA-Manns Volker Janssen - ermittelt...

Übergeordnetes Thema des Romans ist die Schuld und ihre Bewältigung, die Kraft, sich dem Leben zu stellen: Da ist Heike, einst gute Freundin Marias und Annas, die sich verantwortlich fühlt für die Behinderung ihrer Tochter Raffaela; Annas alkoholabhängige Schwester Maria, die damit hadert, dass sie nicht in der Lage ist, sich um ihren Sohn Sascha zu kümmern; Annas und Marias Mutter Mechthild von Betteray, die sich Vorwürfe macht wegen Marias Abgleiten in die Alkoholsucht. Bindeglied zwischen diesen Personen ist Pastorin Anna, die für Heike da ist und ihrem Neffen Sascha ein liebevolles Zuhause bietet.

Gesthuysen schreibt flüssig lesbar, durchaus humorvoll und mit viel Liebe und Verbundenheit zu ihrer niederrheinischen Heimat. Die teils schrullig gezeichneten Typen des Ortes Alpen stehen für den Zusammenhalt und die Hilfsbereitschaft einer letztlich funktionierenden Dorfgemeinschaft. Die Autorin hat Autobiografisches verarbeitet und bleibt weitgehend authentisch. Als störend habe ich einige Klischees empfunden: die Darstellung des schwulen Postboten, oder des drogensüchtigen Jugendlichen, der natürlich als Erster der möglichen Gewalttat verdächtigt wird. Und manchmal hatte ich das Gefühl, da werden fast per to-do-Liste Themen abgehandelt, die gerade im Gespräch sind, wie z. B. Diskriminierung und Rassismus in der Sprache. Hier wäre weniger mehr gewesen. Zudem fand ich das Thema "Adel" arg überstrapaziert.

Trotz dieser Kritik: Insgesamt habe ich den Roman durchaus gern gelesen und bin neugierig auf den vorhergehenden Band geworden.