Fürchterliches Cover für einen spannenden Familienroman

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fahrcks Avatar

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Jeannette Walls erzählt meisterlich, sie hat eine tolle Sprache und auch die Übersetzer Ulrike Wasel und Klaus Timmermann haben dementsprechend ebenso einen tollen Job gemacht. Der Verlag hingegen glänzt hier eher mit Fehlentscheidungen: sowohl das Cover als auch der deutsche Titel haben mit dem Inhalt nichts zu tun und haben mich während der Lektüre zunehmend geärgert. Auch beim Lektorat wurde geschwächelt, meinem Anspruch werden die diversen Tippfehler jedenfalls nicht gerecht.
Inhaltlich bekommen die Leser*Innen einen spannenden und rasant erzählten Familienroman. Vor dem Setting des sehr ländlichen Virginias während der Prohibition erzählt die Ich-Erzählerin Sallie Kincaid ihre von Tragödien geprägte Geschichte. Als Tochter des einflussreichsten Mannes des Counties – von allen nur Duke genannt – wird sie von dessen dritter Ehefrau, ihrer Stiefmutter, des Hauses verwiesen, nachdem sie ihren jüngeren Halbbruder in einen Unfall verwickelt und schwer verletzt hatte. Als ihre Stiefmutter 9 Jahre später stirbt, darf Sallie in ihr Elternhaus zu ihrem Vater und ihrem Halbbruder zurückkehren, soll dort die Betreuung des Halbbruders übernehmen und teilt sich diese Aufgabe schnell mit der neuen Frau des Dukes. Auch im Familienbetrieb darf Sallie nach kurzer Überlegung eine mehr oder weniger tragende Position einnehmen. Sie muss sich also im Betrieb - natürlich reine Männerdomäne - beweisen und auch im Elternhaus stehen diverse Auseinandersetzungen und Probleme an.
Der Duke hat mit seinen vier Ehefrauen und diversen Liebschaften ein undurchschaubares Familiengestrüpp geschaffen, das den Leser*innen nach und nach in zahlreichen Wendungen offenbart wird. Sallie muss sich gegen die patriarchalen Strukturen beweisen. Dabei werden zudem auch die Probleme der Prohibition, Rassismus, Selbstjustiz, Erbschaftsstreitigkeiten, religiöser Fanatismus und die Rolle der Frau sowie ihre Wertigkeit ohne Ehemann thematisch angeschnitten. Die Handlung ist rasant, Wendungen und eine recht große Fluktuation unter den Haupt- und Nebenfiguren fordern die Aufmerksamkeit. Dabei bleiben die Personen vor lauter Handlung oberflächlich und die Plausibilität bleibt in Anbetracht der vielen Wendungen und Schicksalsschlägen zwischenzeitlich stark auf der Strecke. Einige Entscheidungen der Hauptfiguren sind für die Leser*innen sehr schwer nachvollziehbar worunter leider vor allem die Authentizität der Hauptpersonen Sallie leidet. Diese wird wiederholt als emanzipierte und eigenständige junge Frau beschrieben, braucht aber in schwierigen Situationen doch ständig den Rat und die Hilfe der sie umgebenden Männer.
Es bleibt insgesamt ein sehr lesenswerter aber kurzweiliger Unterhaltungsroman ohne viel Tiefgang und Nachhall. Mit etwas weniger gestraffter Handlung und weniger Tragik wäre der Roman nicht schlechter oder weniger lesenswert gewesen, meiner Meinung nach wäre das Gegenteil der Fall. Die zugegeben hohen Erwartungen nach den Vorgängerromanen der Autorin „Ein ungezähmtes Leben“ und „Schloss aus Glas“ werden hier leider weniger erfüllt als erhofft.