Bildgewaltig und fesselnd!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
edda Avatar

Von

Bürgerkrieg in Georgien, Irakli flieht mit seinen Söhnen Saba und Sandro nach London, die Mutter, aufgrund mangelndes Geldes für Pässe und Flucht, bleibt zurück. Irakli versucht jahrelang sie nach London zu holen, doch es scheitert, die Mutter stirbt. Irakli kehrt später nach Georgien zurück und verschwindet und ist auf der Flucht. Die besorgten Söhne sind folgen seiner Spur. Eine abenteuerliche Reise beginnt. Brotkrume für Brotkrume wird entschlüsselt, die Suche führt durch das ganze Land Georgien.

Saba, der Protagonist, erinnert sich an das damalige Georgien und wird mit dem heutigen konfrontiert, Stimmen von erinnerten Verwandten begleiten ihn, spornen ihn an, flüstern ihm zu. Ein farbiges Bild Georgiens entsteht. Georgien nach dem Bürgerkrieg mit eigenen Regeln und Gefahren. 1991 hat sich Georgien von der Sowjetunion losgesagt, die Wirtschaft ist zusammengebrochen, es herrscht große Armut. Leo Vardiashvili lässt eine Geschichte entstehen, die einen ungebrochenen Überlebenskampf, Hoffnung und große menschliche Begegnungen verspricht. Eine Odyssee auf der Suche nach dem Vater mit schönen, schrecklichen, aufwühlenden und überraschenden Momenten, man lebt als Leser intensiv mit und erleidet mit die Armut, Korruption, Verrat, aber auch Liebe, Zuversicht und Vertrauen. Der Roman nimmt Fahrt auf; die vielen geschichtlichen Einblicke runden das Bild ab. Für mich war der Höhepunkt in der Mitte des Romans und von da an ging es rasant weiter, bleibt durchgängig spannend. Der Roman ist sehr dicht und sehr überzeugend geschrieben. Zuerst fiel es mir nicht leicht, mich mit Sprache und Kultur anzufreunden, doch der erwirkte Eindruck der Bilder ist sehr gelungen, fast nicht zu glauben, fast märchenhaft! So ist auch die Anlehnung des Buchtitels „Vor einem großen Walde“ an Hänsel und Gretel von den Gebrüdern Grimm (nicht nur in Bezug auf das entscheidende Schlussszenario) passend.
Aus Sicht einer unverdauten Kindheit, und auch mit den sensiblen Empfindungen eines Kindes, das eine zurückgelassene Heimat sucht und Trümmer und Wahrheiten findet. Zum Schluss ist die Heldenreise ganz anders als erwartet.
Märchen erzählen wundersame Begebenheiten. So auch hier: Der Held ist Saba, der sich mit guten und bösen Begegnungen auseinandersetzt bis die letzte Stimme verstummt.
Saba suchte seinen Ursprung, seine Heimat und trotz aller Widrigkeiten und Widersprüchlichkeiten innen und außen ist ihm dies auf dieser Reise wohl zu einem entscheidenden Teil gelungen.
Mit viel Humor und überraschenden Wendungen und Einblicken bekommt man hier beste Unterhaltung zum Mitfiebern und Mitleiden.

Leo Varashvili ist in Tbilissi aufgewachsen und immigrierte mit 12 Jahren nach England, wo er in London Literatur studierte.