Das Leben hat seine eigene Dynamik

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern Leerer Stern
buecherfan.wit Avatar

Von

Ryan Bartelmays Debütroman “Voran, voran, immer weiter voran” spielt in der fiktiven Kleinstadt Middleville in Illinois im Mittelwesten. Es läuft nicht gut für Buddy Waldbeeser und seinen jüngeren Bruder Chic. Der Vater hat Selbstmord begangen, die Mutter ist mit ihrem neuen Partner nach Florida gezogen und hat ihre halbwüchsigen Söhne sich selbst überlassen.

Die Handlung setzt im September 1950 ein, als Chic direkt nach dem Highschool-Abschluss Diane von Schmidt, die Tochter des Mathematiklehrers heiratet. Die Hochzeitsfeier und der Beginn der Hochzeitsreise nach Florida lassen nichts Gutes erwarten. Diane ist wütend auf ihren Mann, weil seine Schwägerin, die attraktive Inderin Lijy, ihm vor aller Augen eine Rückenmassage verpasst hat. Buddys und Lijys Ehe kriselt, weil Buddy als Münzhändler ständig unterwegs ist und seine Frau vernachlässigt. Chic träumt von einem ganz normalen glücklichen Leben mit Eigenheim und Kindern, aber so wird es nicht kommen, d.h. es gibt ein Haus und den Sohn Lomax, aber kein Glück. Lomax stirbt als Kind, und Diane wird Chic bis zum Ende die Schuld an seinem Tod geben. Sie wird depressiv und verbringt die nächsten zehn Jahre ständig essend im Bett, während sie stundenlang ihrem Guru Norman Vincent Peale im Radio zuhört.

Bartelmay erzählt das Leben von drei Paaren - außer den Brüdern und ihren Frauen sind das noch Green Geneseo und Mary Norwood - über einen Zeitraum von fünfzig Jahren. Im Mittelpunkt stehen die 50er und 60er Jahre und dann das Jahr 1998, als Chic Mary begegnet und noch einmal die Chance auf einen Neuanfang hat. Mary will ihren Mann Green verlassen, der nach zwei Monaten Ehe einen Schlaganfall hatte und als Pflegefall im Rollstuhl sitzt, der 67jährige Chic ist seit vielen Jahren Witwer.

Bartelmay erzählt nicht chronologisch, sondern mit vielen Zeitsprüngen und wechselnder Perspektive und macht ausgiebigen Gebrauch von inneren Monologen. Durch die Kapitelüberschriften und die Datierung ist die Orientierung für den Leser einfach, jedoch braucht er bei der Lektüre mindestens so viel Durchhaltevermögen wie die chancenlosen Protagonisten in ihrem unglücklichen Leben. Nur Buddy und Lijy und ihrem Sohn Russ mit seiner Frau Ginger gelingt eine erfolgreichere Lebensplanung, in Buddys Fall nach einer großen Krise, die eine jahrzehntelange Entfremdung der Brüder mit sich bringt.

Der umfangreiche und dennoch handlungsarme Roman verlangt dem Leser einiges ab. Die im Titel angesprochene Botschaft ist folgende: Es ist sinnlos, irgendetwas zu versuchen. Wir müssen einfach immer weitermachen, denn die Dinge passieren ohne unser Zutun: “… man konnte einfach nichts tun. Am besten, man saß einfach nur da und ließ alles geschehen. Es hatte keinen Sinn, sich abzustrampeln. Die Sonne ging von allein auf und unter. Es reichte, wenn man reglos wartete, bis einen das Dunkel umgab.” (S. 377) und im gleichen Tenor: “Das Schlimmste ist, dass Sie es nicht aufhalten können. Nichts davon. Das Leben hat seine eigene Dynamik. Voran, voran, immer weiter voran.” (S. 297). So viel Pessimismus und Resignation schlagen auf die Dauer aufs Gemüt. Der Vergleich mit John Williams´  "Stoner” bietet sich tatsächlich an. Diese Geschichte ist genauso düster und trostlos.

An Bartelmays Roman, dessen Originaltitel noch sperriger ist als die deutsche Entsprechung (“Onward Toward What We´re Going Toward”), gefallen mir dennoch die sprachliche Qualität und die sorgfältig ausgearbeiteten, sehr ausgefallenen Charaktere. Nicht schlecht, aber nur für psychisch robuste Leser.