Eine amerikanische Familie

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elviga Avatar

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Ich habe gerade noch einmal meinen Leseeindruck angesehen, da hatte ich geschrieben, dass mein erster Eindruck ein zwiespältiger sei. Nun, nachdem ich das ganze Buch gelesen habe, kann ich das nur bestätigen.
Ich kann mich dem Urteil hochrangiger Rezensenten (auf der Rückseite des Buches abgedruckt) dass es sich um ein literarisches Meisterwerk handelt, nicht wirklich anschließen. Dennoch hat mich das Buch sehr beschäftigt und auch nach der vollständigen Lektüre geht es mir nicht aus dem Kopf.
Kurz der Inhalt: Im Mittelpunkt des Romans steht Chic Waldbeeser, ein sehr einfacher junger Mann, der nach dem Selbstmord seines Vaters leidet. Nach dem Tod seines Vaters ist seine Mutter mit ihrem Geliebten nach Florida gezogen und hat ihn und seinen Bruder Buddy alleine gelassen. Sicher muss man die psychischen Störungen der beiden Brüder unter diesem Gesichtspunkt betrachten.
Der Roman, der in den 50er Jahren spielt, beginnt mit der überstürzten Hochzeit Chics mit Diane. Er war noch völlig unerfahren und Diane wollte ihn, das genügte schon.
Die Ehe mit Diane wird nicht glücklich, aber auch nicht total unglücklich. Die Geburt ihres Sohnes Lomax bindet die beiden aneinander. Lomax wird sehr anders als sein Vater es sich gewünscht hatte: kein Football, keine Jungscliquen, kein "echter Junge" eben, sondern ein kleiner Intellektueller.
Chic fühlt sich erotisch zu Lijy, der Frau seines Bruders Buddy hingezogen. Als diese tatsächlich einmal ihren Mann betrügt und gleich darauf schwanger wird, überredet sie Chic, sich zur Vaterschaft zu bekennen. Aus Gründen, die dem Leser unerklärlich bleiben (und die es wohl auch für Chic selbst sind) stimmt er zu. Dass das weder dem Verhältnis zu Diane förderlich ist noch dem zu seinem Bruder, ist klar.
Doch das Leben geht irgendwie weiter bis zu dem Zeitpunkt, als Lomax tödlich verunglückt. Das Leben der Eltern, die sich in ihrer Trauer gegenseitig nicht helfen können, gerät total aus der Spur.
Es gibt noch andere wichtige Charaktere in dem Buch, die erst später im Leben Chics, als er schon älter ist, eine Rolle spielen werden.
Das Buch hat viele Zeitsprünge, die aber immer verständlich bleiben.
Für mich irritierend war der Widerspruch zwischen der emotionalen Tiefe, der Trauer und dem Leiden der Protagonisten und dem sonderbar emotionslosen Stil.
Eigentlich ist es eher der Stil, der mich davon abhält das Buch richtig toll zu finden. Zu simpel (wobei diese Simplizität eindeutig ein gewolltes stilistisches Mittel ist), zu lakonisch, nie richtig dran bei den Figuren.
Sicher kein schlechtes Buch, aber Ryan mit dem großartigen John Williams zu vergleichen kommt mir doch übertrieben vor.
Leseeindruck: lohnt sich jedenfalls, sich das mal anzuschauen!