Es muss immer weitergehen

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annajo Avatar

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Amerika, 1950er Jahre: Chic Waldbeeser ist noch sehr jung als er seine Frau Diane kennenlernt und heiratet. Schon auf der Hochzeit beginnt sein merkwürdiges Verhältnis zur Frau seines Bruders, Lijy, deren Nackenmassage Chic missversteht. Und während sich für Chic als verheirateter Mann mit Frau, bald auch einem Kind und einem soliden Job alles zum Besten wenden sollte, erwartet man für seinen manchmal psychisch recht labil wirkenden Bruder genau das Gegenteil. Doch dann kommt alles anders ...
Jahrzehnte später trifft die ehemalige Billardturnierspielerin Mary in einem Kasino auf Chic, in das er immer mit einem Bus eines Altenheims gebracht wird.Mary wirft sich diesem alleinstehenden alten Mann an den Hals, der immer und überall hin eine grüne Sporttasche einer Highschool mit sich trägt. Was ist in der Zwischenzeit mit Chic geschehen? Und bekommt er noch einmal eine Chance, sein Leben zu ändern?

Chic ist gutmütig und lässt sich von der Frau seines Bruders, Lijy, eine Entscheidung aufzwängen, die sein gesamtes Leben beeinflussen wird. Von da an hüten die beiden ein gemeinsames Geheimnis und Chic erfährt dafür nie die Dankbarkeit, der er verdient glaubt. Stattdessen wendet sich sein Leben zum Schlechteren und seine unbeholfenen Versuche, etwas zu ändern, machen es eher noch schlimmer. Jahrzehntelang fühlt er sich ungeliebt und neidet dem Bruder, der früher viel ungefestigter wirkte, zunehmend sein erfolgreiches Leben. Chic ist ein einfach gestrickter Mensch und hat in einer amerikanischen Kleinstadt nicht viele Möglichkeiten, sich zu verwirklichen. Letztlich greift er zur Lyrik um sein Leben zu verarbeiten und gelangt als Erkenntnis zum zentralen Satz dieses Buch: "Voran, voran, immer weiter voran". Allerdings erzählen alle Schicksale und Geschichten (Chic, Mary, Chics Bruder, etc.) davon, dass das Leben immer weitergeht bzw. gehen muss. Präsentiert in einer Szene zwischen Chic und einer Bibliothekarin legt der Autor dar, dass dieser Gedanke eigentlich gar nicht düster sei, sondern eher hoffnungsvoll. Dadurch scheint Chic sich letztlich auch mit dem Verlauf seines Lebens versöhnen zu können, während es dem Leser schon als tragisch anmuten kann.

"Voran, voran, immer weiter voran" ist nicht DER amerikanische Roman, als den ich ihn mir zunächst vorgestellt hatte. Stattdessen ist er eine einfache Familiengeschichte über 50 Jahre hinweg davon, dass nicht immer derjenige, der es möglicherweise mehr verdient hat, letztlich das perfekte Leben bekommt, das er sich vorgestellt hat. Es geht um verpasste Möglichkeiten und zu späte Erkenntnisse und immer wieder geht es in diesem Buch vor allem um Entscheidungen und deren Auswirkungen. Jahrelanger Groll führt dazu, dass sich Menschen entzweien, die eigentlich (zumindest) glauben, sich zu lieben. Doch die Gefühle werden erst offenbar, wenn es zu spät ist und die Hinterbliebenen dann ein Leben lang Reue mit sich herumtragen.

Ein wenig gefehlt hat mir die Bindung an die Figuren des Romans, die einem nie wirklich nahe gebracht werden. Die Einblicke in das Seelenleben gehen nie so tief, als dass man intensiv mitfühlen könnte. Auch eine stärkere Greifbarkeit der Tristesse der Orte im Mittleren Westen Amerikas, die ja ebenfalls einen Einfluss auf die Figuren und ihre Möglichkeiten hat, fehlte mir etwas.

Alles in allem ist dies ein Roman, der von der Unabwendbarkeit des Lebens und seiner Schicksale, aber auch von den Fehlern normaler Menschen erzählt. Das Buch ist ruhig, aber tiefgründig. Es ist eher ungeeignet für ein reines Unterhaltungsbedürfnis beim Lesen, dafür jedoch sehr gut passend für Leser, die Nachdenkliches suchen.