Starker Anfang, starkes Ende und ein dahinplätschernder Mittelteil

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webervogel Avatar

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Eine ältere Dame steht während eines Fluges auf, um ihren Mitreisenden Todesalter und Todesursache zu prophezeien – knapp, präzise und immer schön der Reihe nach. Klingt nach einem erstaunlichen Bucheinstieg? Ist es auch. Autorin Liane Moriarty hebt in knackig-kurzen Kapiteln sechs Menschen und ihre Reaktion auf die Prophezeiung der „Death Lady“ hervor – vom gestressten Familienvater bis hin zum Brautpaar, das noch im Hochzeits-Outfit in die Flitterwochen startet. Die ersten hundert Seiten vergehen dann auch wie im Flug. Doch als dieser vorbei ist und sich die Passagiere in alle Richtungen zerstreuen, lässt auch die Dichte und Spannung der Geschichte merklich nach.

Moriarty springt das ganze Buch hindurch zwischen sieben Protagonist*innen hin und her. Sechs von ihnen haben während des Fluges eine Prophezeiung erhalten, die siebte ist die vermeintliche Hellseherin Cherry. Sie kommt in jedem zweiten Kapitel zu Wort und erzählt rückblickend ihr Leben, was zunächst etwas zusammenhanglos wirkt. Lange fühlte ich mich ihren Mitreisenden viel näher, doch kommen diese nach dem Flug nur noch selten ausführlich zu Wort. Gleichzeitig schwebt ein Damoklesschwert über ihnen: Werden Cherrys Prophezeiungen eintreten? Oder lässt sich das vielleicht sogar aktiv verhindern? Es dauert lange, bis der Roman in die Nähe einer Antwort kommt. Bis dahin plätschert er meist langsam vor sich hin und zerfasert dabei auch sehr, da es zwischen den einzelnen Figuren kaum Schnittstellen gibt. Meinen Lesefluss wurde dadurch etwas gebremst; zudem nervte es mich etwas, dass ich ständig in Sorge um die Figuren war. Am Ende allerdings zeigt die Autorin wieder, was sie eigentlich kann, führt lose Enden zusammen, schließt Kreise, enthüllt verblüffende Verbindungen und hält auch einiges elegant in der Schwebe. Zwischenzeitlich habe ich es für unmöglich gehalten, dass „Vorsehung“ ein mich zufriedenstellendes Finale haben könnte, aber voilà: Es hat mich sogar begeistert. Und so ist der Roman eigentlich ein Fünf-Sterne-Buch mit einem dreieinhalb bis vier Sterne Mittelteil. Doch selbst, wenn letzterer Längen hat – Moriarty schafft es, alle sehr unterschiedlichen Charaktere authentisch, verletzlich und nahbar darzustellen. Niemand bleibt blass, alle sind richtig gut ausgearbeitet, auch wenn ich mir oft gewünscht hätte, mehr über Einzelne zu erfahren. Insgesamt bin ich froh, am Ball geblieben zu sein – und das Buch trotz Cover und Titel gelesen zu haben, beides hat mich nämlich eigentlich nicht angesprochen. Denkt man allerdings an den Schmetterlingseffekt, ist das Bild auf dem Buchumschlag gar nicht so beliebig wie gedacht. Wieder mal ein schöner Fall von „Don’t judge a book by its cover.“