Fabelhaft!

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aennie Avatar

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… fast wie ein Okapi, dieses interessante Tier, dass fast ein wenig wirkt, als hätte sich jemand im Bauplan tüchtig vertan. Wer es einmal gesehen hat, wird es nicht mehr vergessen. So geht es auch Selma, deren Mann Heinrich ihr einmal ein Bild aus einer Zeitung mit diesem bemerkenswerten Wesen zeigte. Zeit ihres Lebens schleicht sich das Okapi nun immer wieder in ihre Träume ein. Und schnell ist klar, was das zu bedeuten hat: irgendjemanden aus dem kleinen Dorf im Westerwald wird der Tod ereilen. Und weil ein solches Vorzeichen ihre ganze Umgebung kirre macht, versucht Selma tunlichst zu vermeiden, dass jemand es erfährt, wenn sie mal wieder geträumt hat. Doch wie die Ich-Erzählerin Luise, die Enkelin Selmas, dem Leser erklärt, funktioniert das nur so bedingt. Kommt Selma betont harmlos schlackernd und „Hallöchen“ flötend in die Küche, ist die Sache klar. Logisch, dass niemand weiteres davon erfahren soll – und eine Stunde später weiß es das ganze Dorf und bereitet sich vor: Briefe werden geschrieben mit Geständnissen und Beichten, Vorbereitungen getroffen – und bei Bedarf am nächsten Tag wieder aus dem Postsack geklaubt, war man denn selbst nicht betroffen.
Diese Träume, Selma, das Dorf im Westerwald, das Okapi – all das ist aber eigentlich nur Plattform für vor allem Luises Geschichte. Eine Geschichte über Freundschaft und Liebe, über Distanz und Nähe, verstockt sein und verschwommen sein, unterwegs und zu Hause sein, getrennt und zusammen sein. Über Gemeinschaft und Verbundenheit, in der Familie und mit Freunden und Bekannten, Dinge die Menschen zusammenführen, zusammenhalten und auseinanderreißen, Löcher im Fußboden, knallende Garagentore und Erbsen aus der Dose. Aberglauben und Depressionen, Fernweh und Heimatverbundenheit.
Luise berichtet fast beiläufig kommt es einem vor, von all diesen Dingen, die passieren, wenn das Leben seinen Lauf nimmt und was das mit einem Menschen macht - mit ihr selbst und mit allen anderen Personen die um sie herum sind und ihre eigenen Geschichten haben: zuvorderst Selma und der Optiker, Elsbeth, Marlies, Palm, ihre Eltern und Frederik.
„Was man von hier aus sehen kann“ ist ein Lesehighlight 2017 für mich. Es ist ein Buch zum laut Lachen und leise Weinen, zum Schmunzeln, zum erschrocken die Augen aufreißen, zum in einem Rutsch weglesen und ganz langsam lesen und genießen, damit mehr davon hat. Mehr von dieser wundervollen – es gibt kein besseres Wort als das im Klappentext – lakonischen Sprache Mariana Lekys, diesem Witz, dieser Tragik, dieser Selma, die aussieht wie Rudi Carrell, dem Optiker, „apropos Optiker“, seitenweise seine Briefanfänge hätte ich lesen wollen, schwarz gekleideten Hessen-Buddhisten und zu alt für ein Hundeleben Alaskas und mittendrin eine Luise.
Das Okapi ist dabei für mich ein wiederkehrendes Symbol, so wenig wie bei diesem Tier zusammenpasst, so ist das im Leben nun mal auch manchmal, und im Gefühlsleben erst recht. Und da kann man unterschreiben was man will, die Wahrheit liegt in fünf Jahren und über 700 Briefen.
Fazit: Lesen! Das ist humorvoller als jeder „heitere Roman“, tragischer als jedes „schicksalhafte Familienepos“, es ist einfach nur mitreißend. Eine literarische und sprachliche Perle!