Ein Familienleben direkt an der innerdeutschen Grenze

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miltonia 01 Avatar

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Das Buch erzählt in 2 Zeitebenen, zum einen in der Gegenwart mit Milla, einer alleinerziehenden Mutter, deren Hobby es ist, „Lost Places“, verlassene einsame Orte mit unterschiedlichsten Spuren vergangenen Lebens, aufzustöbern und im Internet mit anderen Interessierten zu teilen.
Bei einer Wanderung in der Nähe des Rennsteiges im Thüringer Wald stößt sie zufällig auf einen Keller, das darüberstehende Haus ist komplett zerstört und alle Spuren beseitigt, allerdings sieht der Keller so aus, als ob er nur kurz von seinen Bewohnern verlassen worden wäre. Dieser Keller gehörte zum Hotel „Waldeshöh“ der Familie Dressel und diese Familie sucht Milla nun.

Und um die Lebens- und Familiengeschichte der Familie Dressel dreht sich der 2. Handlungsstrang. Er beginnt gegen Ende des 2. Weltkrieges, im Hotel sind Frankfurter Stadtkinder einquartiert, der Hausherr ist an der Front und alle fiebern nur auf das Ende des schrecklichen Krieges hin. Und die Bewohner haben Glück, der Vater kehrt, wenn auch nicht gesund, aus dem Krieg zurück, das Hotel ist so abgelegen, dass keine Bomben geworfen werden, sich keine der diversen Besatzungsmächte wirklich dafür interessiert und es keimt die Hoffnung, irgendwann den Hotelbetrieb wieder aufnehmen zu können.

Das wiederum erweist sich als Trugschluss. Direkt am Hotel wird im Laufe der Jahre eine immer stärkere Grenzbefestigung installiert, mit Minenfeldern, Hunden und Stacheldraht, den Bewohnern wird das Leben immer schwerer gemacht, das Telefon wird abgestellt, keine Post wird zugestellt, es gibt nur eine Stelle, an der sie das Grenzgebiet überhaupt verlassen und wieder betreten dürfen, die alltäglichen Schikanen werden immer größer und schlimmer. Trotzdem gelingt es der Familie, ein durchaus glückliches Leben zu führen, der Familienzusammenhalt ist immens und sehr liebevoll und alle hoffen, dass eines Tages die Beschränkungen wieder gelockert werden. Bis eines Tages doch die große Katastrophe kommt.

Mich hat das Buch sehr berührt, einerseits bin ich familiär vorgeprägt und zum anderen gelingt es der Autorin sehr gut, die Gedankenwelt der einzelnen Personen nachvollziehbar zu machen. Zum Beispiel die immer wieder und eigentlich gegen besseren Wissen aufkeimende Hoffnung auf eine Wende zum Besseren. Die große Liebe zur Heimat, zum Wald und den Familientraditionen. Und auch die Abkehr einer einzelnen Person davon, deren Wunsch aus dem beschränkten eingesperrten Leben heraus zu kommen ist für mich durchaus ebenso verständlich.

Es ist so erschreckend, wie viele Schikanen sich das DDR-Regime für solche „Abweichler“ von der Norm hat einfallen lassen, wie die Nachbarn und Kollegen, meist ebenfalls aus Angst um ihre eigene Situation, das mitgetragen haben und wie sehr man sich einschränken lässt in der Furcht, auch noch das letzte kleine Glück zu verlieren. Und den perfiden Strategien der DDR-Oberen hatten die meisten Menschen nicht wirklich etwas entgegen zu setzen. Heute ist das möglicherweise vielen nicht nachvollziehbar, aber vielleicht muss man dies auch selbst erlebt haben.

Trotzdem vermittelt das Buch auch die alltägliche Lebensfreude und das kleine Alltagsglück absolut stimmig, dafür und für die gelungene Erinnerung an diese Zeit von mir tolle 5 Sterne!