Eine Geschichte über Vertrauen, Verrat, Angst und unbändige Freude über das Leben an sich.

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kianu Avatar

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Ohne zu wissen, was genau mich bei Was uns erinnern lässt erwartet, habe ich dieses Buch aufgeschlagen und war in meiner eigenen Vergangenheit.
Geboren bin ich 1983 in Lichtenfels, aufgewachsen aber in Mitwitz. Seit meiner frühesten Kindheit kann ich mich an eine Grenze erinnern, die sich nicht mal einen Kilometer weit von meinem Elternhaus befand und den Westen (uns) vom Osten (die anderen) Deutschlands trennte.
Als Kind wusste ich nur so viel: An der Grenze vorbei auf die andere Seite kommt man nicht.

Doch dann kam das Jahr 1989 und plötzlich packen meine Eltern ihre Reisepässe und wir fuhren los, in unserem blauen Golf 2 über die Grenze.
Ich weiß noch wie aufgeregt und neugierig ich war endlich zu erfahren wer oder was sich hinter diesem Zaun verbarg und war bitter enttäuscht.
Unser erstes Ziel hieß Sonneberg und direkt nach dem Aussteigen bemerkte ich zwei Sachen: Hier stinkt es und die Häuser sind ja gar keine Paläste. Das Mittagessen schmeckte merkwürdig und auch sonst sah ich keinen Grund jemals wieder hierher zu kommen.

Wenn ich heute so darüber nachdenke schäme ich mich ein wenig für diese Gedankengänge und die Vorurteile, die ich gegenüber diesen Teil Deutschlands von hatte, aber was wusste ein 7-jähriges Mädchen damals schon?
Doch genug von mir, zurück zu diesem wunderschönen Buch, das ich euch jetzt vorab schon mal nur ans Herz legen kann.

Milla, die Rechtsanwaltsgehilfin und alleinerziehende Mutter des 14-jährigen Neo, hat ein ungewöhnliches Hobby: sie sucht „Lost Places“ und tauscht sich darüber in ihrem Blog mit anderen Interessierten aus.
Abseits der Wanderwege im Thüringer Wald entdeckt sie einen zu gewucherten Kellereingang samt Falltür und steht plötzlich in einem Raum, in dem die Zeit stehen geblieben scheint.
Von da an lässt Milla dieser Raum nicht mehr los und sie stößt bei ihren Recherchen auf die Geschichte des Hotels Waldeshöh, das dort viele Jahre zuvor einmal gestanden hat. Auch Christine, eine Enkelin der Familie Dressel, die dort über viele Jahre gelebt hat, macht sie ausfindig und nach und nach erfährt Milla immer mehr über die Vergangenheit von Waldeshöh und dessen ehemaligen Bewohnern. Vom 2. Weltkrieg über die Teilung von Ost und West und über das Leben im

Nirgendwo, bis hin zur Vertreibung der Dressels aus ihrem Zuhause – von einer Zeit, von der kaum einer weiß, was tatsächlich geschah.

Was uns erinnern lässt von Kati Neumann ist mehr als ein Roman. Es ist ein Zeitzeugnis und ein wunderschönes Buch gegen das Vergessen. Dabei ist die Geschichte in zwei, sich abwechselnde Zeitstränge unterteilt, in der einmal Milla von der Gegenwart (2017) und die Dresslers aus der Vergangenheit (1945 – 1977) berichten. Beide Erzählstränge sind gekonnt miteinander verwoben und verschmelzen zu einer perfekten Einheit, bei der ich mich definitiv nicht entscheiden kann, welche von beiden mich mehr berührt hat.
Auch der Schreibstil ist angenehm flüssig und lässt Bilder aus der damaligen Zeit entstehen, die ich als „Ortskundige“ aber ohnehin schon hatte. Es fühlt sich einfach Besonders an, wenn man die Namen von Orten wie Coburg, Neustadt oder Tettau liest, mit denen man selbst so viel verbindet. Sei es die Schulzeit, der Wochenendtreff als Teenager oder das Skigebiet, in dem man viele glückliche Stunden verbracht hat. Und dann auch noch das Davor zu erleben, in das eine wundervolle Familiengeschichte eingebettet wurde, stimmt mich jetzt noch melancholisch.

Die Charaktere wirkten allesamt sehr authentisch und haben Gefühle in mir geweckt und mich Anteil nehmen lassen an ihrem Schicksal.
Besonders bei Christine und ihre Familie war doch etwas intensiver. Ich habe mitgehofft und mit ihnen gebangt. Ich habe mich gefreut aber auch mitgelitten und bin am Ende mit einem Lächeln auf den Lippen noch einige Minuten auf meiner Couch sitzen geblieben, um das Zusammengehörigkeitsgefühl, das sie ausstrahlten, noch etwas länger zu genießen.

Vielen Dank liebe Kati Neumann, für das Gefühl, dass du mir mit deinem Buch geschenkt hast.

Eine spannende und einfühlsame deutsch-deutsche Geschichte über Vertrauen, Verrat, Angst und unbändige Freude über das Leben an sich.
Klare Leseempfehlung von mir!