Ich wandre ja so gerne am Rennsteig durch das Land

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tochteralice Avatar

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So beginnt das "Rennsteiglied", in dem ein ganz besonderer Wanderweg besungen wird: ein Symbol gleichwohl für das geteilte wie auch für das wiedervereinigte Deutschland. Denn der Rennsteig führt durch Thüringen und Franken, so ziemlich genau an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze entlang.

Vor dem zweiten Weltkrieg war er von Hotels gesäumt, einfachen und ziemlich eleganten. Ein besonders mondänes, in dem sich die feine Gesellschaft ein Stelldichein gab, war das "Hotel Waldeshöh" das über Jahrzehnte hinweg von Familie Dressel geführt wurde. Die Familie bewohnte das Haus auch noch, nachdem es Teil des Sperrgebiets, eines fünfhundert Meter breiten Streifens unmittelbar an der Grenze, geworden war. Ein hartes Leben, ohne eine besondere Genehmigung durfte niemand zu Besuch kommen und noch schlimmer: man selbst benötigte eine Genehmigung und musste diese ständig mit sich führen.

Eine Familiengeschichte, die im Dunkeln liegt, bis Milla, eine Anwaltsgehilfin Anfang Dreißig, im Rahmen der Suche nach "Lost Places" auf einen Keller stößt. Einen Keller mit nix drüber. Was hat es damit auf sich? Sie findet dort neben Marmeladen und Säfte, auch hausgemachten Wein aus den 1970er Jahren auch das Tagebuch eines jungen Mädchens, einer Christine. Und in ihr erwacht der Jagdtrieb. Was wohl aus ihr geworden ist? So alt ist sie doch noch gar nicht, so Mitte fünfzig müsste sie sein!

Milla findet nicht nur Christine, sondern so viel mehr und stößt auf ein trauriges Geheimnis. Eines, das keins sein sollte und das viel Leid gebracht hat. Dennoch ist dies längst nicht nur ein trüber und melancholischer Roman, es ist die Chronik einer Familie, möglicher Schicksale von DDR-Bürgern, die stellenweise traurig, andererseits aber auch sehr atmosphärisch und teilweise sogar idyllisch ist.

Ein ausgesprochen besonderer Roman über ein ebenso unbekanntes wie leidvolles Thema. Die Autorin Kati Naumann schreibt ebenso eindringlich wie bewegend, ich habe als Leserin auf jeder Seite gespürt, dass ihr dieses Thema am Herzen liegt. Und das hat sie nicht nur auf emotionaler, sondern auch auf professioneller Ebene ausgesprochen gekonnt umgesetzt! Manchmal waren mir einige Hinweise zu vage, sie blieben quasi in der Luft hängen. Aber das Thema ist so komplex, dass man als Autor gezwungen ist, Grenzen zu setzen - bei einem Thema, in dem es ständig um Grenzen geht! Ich bin beim Lesen einfach neugierig geworden und hätte ewig so weiterlesen können!

Eine ganz dicke Empfehlung für jeden, dem die jüngste deutsche Geschichte am Herzen liegt, der das Gefühl hat, längst nicht alles zu wissen. Ein ganz ordentlicher schwarzer Fleck kann durch die Lektüre dieses Buches definitiv mit Inhalt gefüllt werden!