Wenn Freiheit hinter verschlossenen Türen beginnt …

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Der Auszug gibt einen intensiven Einblick in die Welt junger Frauen, die in einem römischen Konvikt leben und studieren. Er weckt Neugier auf die Themen Freiheit, Identität und gesellschaftliche Zwänge, die Céspedes mit subtiler Schärfe beleuchtet.

Der Roman beginnt in der Enge eines Nonnenkonvikts namens Grimaldi, wo eine Gruppe junger Studentinnen – keine Kinder mehr, sondern Frauen um die 20 – ihr Leben zwischen Gebeten, Lernabenden und heimlichen Sehnsüchten fristet. Wir lernen Figuren wie die temperamentvolle Xenia kennen, die rebellisch gegen die Nonnen aufbegehrt; die trauernde Silvia aus Kalabrien, die ihre Zeit nicht vergeuden will; die ängstliche Emanuela mit ihrem dunklen Geheimnis; die spanische Vinca, die täglich mit ihrem Freund Luis telefoniert; die ältere Augusta mit ihrer Schildkröte Margherita; die musikalische Milly aus Mailand und die nachdenkliche Valentina.

Der Alltag ist geprägt von Ritualen: Abends strömen sie aus der Kapelle, tuscheln in den Zimmern, lernen bei Petroleumlampenlicht (da der Strom abgestellt wird) und träumen vom Leben draußen. Der Mond über der Villa Borghese symbolisiert ihre Sehnsucht nach Freiheit, während die Nonnen – allen voran die strenge Schwester Prudenzina – als Wächterinnen der Moral agieren.
Céspedes' Stil ist beeindruckend nuanciert: Sie schreibt in einer klaren, fast filmischen Prosa, die den Leser mitten ins Geschehen versetzt.

Die Dialoge sind lebendig und enthüllen die Charaktere schrittweise – von Vincas provozierendem Spanisch am Telefon bis zu Emanuelas nächtlichen Ängsten in den dunklen Fluren. Die Atmosphäre des Konvikts ist erdrückend, doch zugleich pulsierend: Es riecht nach getrockneten Feigen, Herbstlaub und Verbotenem (wie heimlichem Rauchen).

Thematisch greift der Roman die Konflikte junger Frauen in einer patriarchalen, katholisch geprägten Gesellschaft auf – Studium als Weg zur Unabhängigkeit, aber auch als Käfig. Emanuelas Lüge über ihre Eltern (die angeblich in Amerika sind) deutet auf tiefere Geheimnisse hin, und Millys Geschichte von der verbotenen Liebe zu einem blinden Organisten fügt eine Schicht Melancholie hinzu. Hier schimmert Céspedes' feministische Haltung durch: Die Frauen sehnen sich nach Autonomie, doch die Welt draußen (Rom in den 1930er Jahren) verspricht ebenso Fallen wie Chancen.

Mein persönlicher Eindruck: Dieser Auszug hat mich sofort gefesselt. Céspedes schafft es, mit wenigen Strichen eine Gruppe vielschichtiger Figuren zu zeichnen, die authentisch und relatable wirken – ihre kleinen Rebellionen (wie das Ignorieren der Nonnen) sind charmant, ihre inneren Kämpfe berührend. Es erinnert an Klassiker wie Virginia Woolfs "Ein Zimmer für sich allein" oder Elena Ferrantes Neapel-Saga, nur früher und italienischer. Die Spannung baut sich subtil auf: Was verbirgt Emanuela wirklich? Wird Xenia ausbrechen? Der Titel "Was vor uns liegt" deutet auf ungewisse Zukünfte hin, und ich bin neugierig, wie Céspedes die Schicksale verwebt.

Insgesamt ein starker Einstieg in einen vergessenen Klassiker, der heute relevanter denn je wirkt: In Zeiten, in denen Frauenrechte wieder debattiert werden, zeigt Céspedes, wie eng Freiheit und Einschränkung beieinanderliegen.


Das Cover der 2025 im Insel Verlag erschienenen Ausgabe von "Was vor uns liegt" ist ein gelungenes visuelles Statement, das den Ton des Romans treffend einfängt. Gestaltet von Rothfos & Gabler unter Verwendung des Originalumschlags von Pushkin Press (Design: Jo Walker) sowie einem Foto von Mario De Biasi / Mondadori Portfolio / Getty Images, kombiniert es historische Ästhetik mit moderner Eleganz. Die Farbgebung – ein sanfter Übergang von Korallrot zu Hellblau – schafft einen auffälligen, aber nicht überladenen Kontrast, der sowohl Wärme als auch Distanz vermittelt, passend zur ambivalenten Stimmung des Konviktle bens.

Das zentrale Bild zeigt vier junge Frauen in 1930er-Jahre-Kleidung, sitzend und in Bücher vertieft, was sofort an die studentischen Protagonistinnen des Romans erinnert. Ihre konzentrierten Mienen und die altmodischen Outfits spiegeln die Mischung aus Bildungseifer und gesellschaftlicher Einschränkung wider, die den Text prägt. Im Hintergrund erhebt sich ein Gebäude mit einer Statue, das an die römische Kulisse des Grimaldi-Konvikts anknüpft – ein subtiler Hinweis auf die physische und symbolische Enge, in der sich die Figuren bewegen. Die leicht verwischte Architektur verleiht dem Design eine zeitlose, fast träumerische Qualität, die die Sehnsucht der Mädchen nach einem Leben jenseits der Mauern unterstreicht.

Insgesamt ist das Cover ansprechend und einladend, ohne zu viel zu verraten. Es spricht Leserinnen und Leser an, die historische Romane mit starken weiblichen Perspektiven schätzen, und verspricht eine Reise in eine vergangene, doch nachhallende Zeit. Die Kombination aus Fotografie und Farbdesign macht Lust, das Buch in die Hand zu nehmen und die Geschichte der jungen Frauen zu entdecken.