Der süße Tropfen der Freiheit

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amalia Avatar

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Acht junge Frauen aus ganz Italien leben im Konvikt Grimaldi und studieren. Trotz der strengen Regeln und der wachsamen Augen der Nonnen erfahren die Frauen, was es bedeutet, selbstbestimmt zu leben.
Der Roman beleuchtet in den zahlreichen Kapiteln das Schicksal und Leben jedes einzelnen Charakters von der Langzeitstudentin, über die Schwester Oberin. Frauen aus unterschiedlichen Regionen, Klassen und Wertvorstellungen. Alle eint, dass sie unter dem Druck und den Erwartungen gesellschaftlicher Normen und Konventionen stehen.

Am Anfang des Buches werden viele Charaktere auf einmal vorgestellt, nach und nach ergeben sich jedoch differenziertere Bilder der Figuren. Besonders spannend fand ich die Figur der Xenia, die das Studium abbricht und durch reiche Bekanntschaften ihrem mittellosen Leben entkommt und ein glamouröses Leben als Geliebte beginnt. Als kühle Hochstaplerin denkt sie dennoch oft, an ihre Freundinnen zurück reflektiert ihre Situation genau.

Man versteht, warum das Buch der faschistischen Zensur unterlag. Fast hundert Jahre später sind die Themen aktuell wie nie. Intime Gedanken weiblichen Verlangens, das Hinterfragen traditioneller Familie, wenn einem die Wahl zwischen Ehefrau oder Lehrerin nicht ausreicht, und wenn die Mutterrolle einen nicht mit Glückseligkeit erfüllt. Für mich schwingt auch in der ein oder anderen Szene queerness mit. Am Anfang kam mir die Sprache kindlich vor, doch der Roman wird immer stärker. Manchmal bleiben einem die Charaktere doch etwas fremd aber die Botschaft der jungen Frauen ist klar: Wer einmal den süßen Tropfen der Freiheit gekostet hat, kehrt nicht mehr zurück.

„Wer könnte vergessen, schon einmal selbst über sich bestimmt zu haben? […] Wer zu Hause geblieben ist und aus der Autorität des Vaters in jene des Ehemannes übergeben wurde, verzeiht uns nicht, dass wir einen eigenen Schlüssel hatten und selbst entscheiden konnten, wann wir kommen und gehen. Und die Männer verzeihen uns nicht, dass wir studiert haben, dass wir genauso viel wissen wie sie.“ S. 126

Ein in seiner Zeit herausragendes Buch, dass in neunzig Jahren kein Tag gealtert ist.