Zwischen Klosterwänden und Freiheitsdrang – Acht Frauen, ein Jahrhundertthema

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
xxholidayxx Avatar

Von

Alba de Céspedes’ Roman Was vor uns liegt (erschienen beim Insel Verlag, übersetzt von Esther Hansen) führt uns ins Rom der 1930er-Jahre. Genauer gesagt in das Grimaldi-Konvikt, wo acht junge Frauen zwischen Nonnen, Lehrbüchern und Zukunftsträumen ihren Platz in der Welt suchen. Jede von ihnen trägt Geheimnisse, Zweifel und Wünsche in sich und gemeinsam bilden sie ein vielstimmiges Porträt einer Generation, die ihre Freiheit erst erfinden muss.

De Céspedes, Tochter eines kubanischen Vaters und einer italienischen Mutter, war selbst politisch aktiv im Widerstand und das spürt man in jeder Zeile. Ihre Sprache ist scharf beobachtend, leise rebellisch und erstaunlich modern. Manche Passagen wirken wie Spiegelungen heutiger Debatten über weibliche Selbstbestimmung. Wenn eine der Figuren sagt: „Wer könnte vergessen, schon einmal selbst über sich bestimmt zu haben?“ (S. 93), dann trifft das mitten ins Herz des Buches und in unser eigenes Heute.

Immer wieder leuchtet de Céspedes’ psychologische Tiefe auf. Besonders stark sind die Dialoge über Ehe, Begehren und Macht, etwa wenn Augusta nüchtern erklärt: „Du darfst nichts Eigenes behalten, nicht einmal deinen Namen …“ (S. 148)
Diese Szenen lesen sich wie frühe feministische Essays, eingebettet in die Lebensgeschichten junger Frauen, die alles wollen: Bildung, Liebe, Unabhängigkeit und dafür einen hohen Preis zahlen.

Was mich besonders beeindruckt hat: der Realismus. Keine Heldinnen, keine klaren Antworten. Stattdessen viele Grautöne, Widersprüche, Unsicherheiten – so, wie das Erwachsenwerden nun einmal ist. Und auch wenn ich die Figuren manchmal gern deutlicher vor Augen gehabt hätte, fängt de Céspedes den Geist dieser Zeit (und das Aufbegehren dagegen) meisterhaft ein.

Fazit
Was vor uns liegt ist kein einfacher Roman, aber ein bedeutender. Eine leise, literarische Revolte in Kleidern der 1930er-Jahre, über Frauen, die mehr wollten, als man ihnen zugestand. Für alle, die schon "Das verbotene Notizbuch" mochten, feministische Klassiker schätzen oder Romane über Freundschaft, Bildung und Freiheit lieben. Nichts für Leser:innen, die schnelle Spannung oder klare Auflösungen suchen.

Danke an den Insel Verlag & Netgalley.de für das Rezensionsexemplar und an Esther Hansen für diese Neuübersetzung, die uns eine Autorin zurückbringt, von deren Stimme wir hoffentlich noch ganz viel hören.