Leben und Leidenschaften Hannah Arendts

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Keller lässt in ihrem Roman Hannah Arendt (1905-1975) als Ich-Erzählerin auftreten. Die Erzählebenen wechseln zwischen 1975, wo Hannah ihren letzten Urlaub im Tessin verbringt, und relevanten Stationen ihres Lebens zwischen 1941, der Ankunft in Manhattan, und 1969, dem Tod von Jaspers. Durch diesen Aufbau und die Rückblenden, Erinnerungsfragmente gelingt es Keller das komplette Leben Arendts zu erzählen. Der Wechsel ist insbesondere gelungen, da eben zum einen aus dem Rückblick berichtet wird (1975) und zum anderen relevante Ereignisse in der Echtzeit erlebt und beurteilt werden. So entsteht ein umfängliches Bild der öffentlichen und privaten Person und der Themen, die ihr besonders wichtig waren.
Besonders hervorheben möchte ich das Thema Freundschaft, dass in Arendts Leben einen zentralen Raum einnahm. Der persönliche und briefliche Austausch zwischen Freunden gehörte für sie zum Wichtigsten in ihrem Leben. Besonders kraftvoll sind die Passagen, in denen von Verwerfungen mit Freunden aufgrund ihrer beruflichen Arbeit und ihrer Veröffentlichung berichtet wird. Sie ist der festen Überzeugung, dass man sich Anhören muss, was der Andere zu sagen hat und auch versuchen muss den anderen Standpunkt nachzuvollziehen, dann kann es gerne eine Diskussion geben. Aber auch, wenn man nicht übereinstimmt, ändert das an der freundschaftlichen Liebe zu diesem Menschen nichts. Diese Offenheit und Rücksichtnahme zeichnet Arendt aus - aber nicht alle ihrer Freunde können diesen Weg mit ihr gehen.
Weitere Themen, die einen prominenten Raum einnehmen sind die große Liebe zu ihrem zweiten Mann Heinrich, das Reisen, die berufliche Arbeit, die Auseinandersetzung der Öffentlichkeit mit ihrer Arbeit (Hetzjagd nach dem Eichmann-Buch) und die Relevanz von Lyrik und Literatur in ihrem Leben.
Die Dichte und Themenvielfalt, der Kenntnisreichtum der Materie durch die Schriftstellerin Keller, einer Literaturwissenschaftlerin, machen den Roman zu einem komplexen Zeitbild und literarisierter Biographie, die vermutlich nicht jedem ein Lesevergnügen bereitet, da ein gewisses Maß an Vorkenntnis bezüglich Arendts Lebensstationen und ihrem philosophischen Werk unerlässlich vor das Verständnis und den Genuss des Buches ist. Ich habe den Roman sehr gerne gelesen, habe mich allerdings auch schon mal im Studium mit Arendt beschäftigt gehabt und kenne "Macht und Gewalt" und Teile der "Vita Activa". Für mich ist das Buch Anstoß jetzt endlich auch mal "Eichmann in Jerusalem" zu lesen, was ich zwar besitze, aber nie ganz gelesen habe.