Wunderbarer Biografie-Roman

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„Sie hatte sich ausgemalt, wie es wäre, wenn sie zum ersten Mal nach ihrer Flucht wieder in dem Land sein würde, in dem jetzt die Sieger Tennis spielten und die Verlierer um amerikanische Zigaretten bettelten. Würde sie dem zerstörten Deutschland einen Besuch abstatten wie einem kranken, alten Onkel, der wundersamerweise noch am Leben war? Oder einem Geliebten, der sie verraten hatte und mit dem, Jahre später, vielleicht so etwas wie eine Aussprache möglich wäre?“ (S. 117)

Hannah Arendts Werke haben gerade in den letzten Jahren in den USA noch einmal einen neuen Zulauf an Lesern bekommen, ihr Buch über die Entstehung von Totalitarismus stand zeitweise sogar auf Bestsellerlisten. Im deutschsprachigen Raum gibt es diese Renaissance noch nicht, aber vielleicht hilft der Biografie-Roman von Hildegard Keller hierzu ein wenig.
Die Autorin erzählt das Leben der Philosophin Hannah Arendt nach ihrer Flucht aus Deutschland. Die Rahmenhandlung bildet die letzte Sommerreise Arendts in die Schweiz, wo sie auf ihr Leben zurückblickt. So spielt jedes zweite Kapitel im Sommer 1975 (Arendt starb im Dezember 1975). Die anderen Kapitel spielen in verschiedenen Zeiträumen, vom ersten Besuch in Deutschland nach dem Krieg, über den Eichmann-Prozess in Jerusalem und die Folgen des Eichmann-Buchs für Arendt.
Es ist nicht einfach, interessant über das Leben einer Philosophin zu schreiben, denn naturgemäß passieren die aufregenden und wichtigen Sachen am Schreibtisch. Hildegard Keller gelingt das aber sehr gut, da sie Arendt immer wieder mit verschiedenen Menschen sprechen und über ihre Ideen diskutieren lässt. Sie zitiert auch ausführlich aus Arendts Werk, das hat mir auch gut gefallen.
Es ist schon hilfreich, wenn man Wikipedia beim Lesen griffbereit hat, um einige Namen nachzuschlagen. Denn oft werden die vielen Bekannten von Hannah Arendt nur kurz genannt und nicht detailliert beschrieben, wer das jetzt ist. Mir hat das aber gut gefallen, denn ausführliche Beschreibungen der Biografien der berühmten Freunde hätten den Fokus zu sehr von der Hauptperson genommen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass das nicht jedem Leser gefällt.
Mir hat der Roman insgesamt sehr gut gefallen und er hat Lust gemacht, mich mehr mit Hannah Arendt zu beschäftigen. Ihr Buch über den Eichmann-Prozess werde ich jetzt auf jeden Fall lesen. 5 von 5 Sternen.