Trübe Wasser sind unheimlich

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wolfgangb Avatar

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"Hast du Lust zu baden, Stiffler?" Mit diesen Worten entfacht der unbekannte Anrufer die Angst in Kriminalhauptkommissar Eric Stiffler. Der Anruf kommt von Annabelles Handy, einer Prostituierten, mit der Stiffler sich regelmäßig trifft. Und die er kurz darauf ermordet am Fluß vorfindet. Ertränkt. Jemand, der sich selbst der "Wassermann" nennt, hegt einen persönlichen Groll gegen ihn. Spätestens, als die zweite Ertränkte - Stifflers Exfrau - gefunden wird, ist dieses Motiv schreckliche Gewißheit. Und gerade jetzt wird ihm eine übereifrige junge Kollegin zur Seite gestellt, die sich mit Ehrgeiz in den Fall vergräbt und Abgründe in seinem Leben ausleuchtet, in die kein Licht mehr dringen sollte ...

Zunächst irritieren in Andreas Winklemanns aktuellem Roman die Perspektivenwechsel. Die Technik, jedes Kapitel aus der Sicht einer anderen Figur zu erzählen und mit offenen Enden die Spannung zu erhalten, ist altbewährt, die ans Kinematographische angelehnte Weise, wie sie hier eingesetzt wird, fordert jedoch die Aufmerksamkeit des Lesers: Vielfach vollführt die Erzählstimme nämlich eine Fokussierung von der Totale in die Nahaufnahme - oder umgekehrt. Erst danach, also mit leichter Verzögerung, wird die Figur enthüllt, aus deren Sicht der betreffende Abschnitt erzählt wird. Was im Film durch mehrere Ebenen der Wahrnehmung - optisch und akustisch - unproblematisch ist, läßt im Text die Aufmerksamkeit des Lesers zuweilen straucheln.

Die Entwicklung der Geschichte erfolgt geradlinig, ohne durch fragwürdige Umwege Erzählzeit zu binden. Der Leser erhält nach und nach alle Teile des Puzzles, die präzise ineinandergreifen, in die Hand gedrückt, um erst gegen Ende das gesamte Bild zu erkennen. Auf diese Weise werden unglaubwürdige "Nichts ist, wie es scheint"-Wendungen, die oft nur zum Selbstzweck eine Geschichte in die Länge ziehen, vermieden.

Die beiden zentralen Figuren auf seiten der Beamten sind gut sichtbar als Gegensatzpaar inszeniert. Während der dienstmüde, dem Alkohol zuneigende Stiffler mit den Sünden seiner Vergangenheit konfrontiert wird, ist es die quirlige Manuela Sperling (man beachte den Namen), die als idealistischer Neuling im Dienst die Ermittlungen unermüdlich vorantreibt. Mit einem Taxifahrer, der pikanterweise unter unkontrollierbarem Einschlafen leidet, beweist der Autor zusätzlich große Originalität.

Was außerdem zur Stimmigkeit des Romans bis ins Detail beiträgt, ist die Affinität des Antagonisten zu seinem Element Wasser. Diese Verbindung, kombiniert mit unstillbarem Rachetrieb bestimmen seine Bösartigkeit in ausreichender Weise. Ausufernde Deutungen unterbleiben, sodaß durch diese Reduktion auf ihren Kern die Bedrohung an Intensität gewinnt.

Ein begleitendes Thema läßt sich in den Emotionen ausmachen, das sich richtigerweise auch im Titel wiederfindet. Dominiert im ersten Drittel des Buches noch die Wut in vielerlei Ausprägung, differenzert der Autor im weiteren Verlauf zunehmend. Hier darf der Taxifahrer Frank als schillernde Symbolfigur gelten, der aufgrund seiner Krankheit von einem Übermaß an Gefühlen unter Lähmungserscheinungen leidet. Jedoch wirken emotionale Befindlichkeiten nicht nur paralysierend, sie können - wie im Fall des Mörders - Verstand und Moral verlieren lassen, sie können aber auch - wie an der jungen Polizistin Sperling sichtbar - beflügelnde Kräfte freisetzen.

Andreas Winkelmann schließt in seinen Nachbetrachtungen mit einem persönlichen Erlebnis an einem See, das ihn zu diesem Roman inspiriert hat. Wenn eine Geschichte es fertigbringt, für den Leser den betrachteten Ausschnitt der Wirklichkeit ein Stück unheimlicher erscheinen zu lassen ... so ist daran die zeitlose Kraft des Erzählens ablesbar.