Thriller oder doch eher ein Krimi?

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Der Thriller “Wehrlos” von Nora Benrath gleicht einem Appell an alle Eltern, die Social Media nicht nur für sich, sondern auch für ihre “wehrlosen” Kinder entdeckt haben. Das 400 Seiten umfassende Taschenbuch ist am 27.12.2022 im Harper Collins Verlag erschienen. Die Journalistin und Redakteurin Nora Benrath arbeitete viele Jahre im Rechercheteam des “Stern”. Hier war sie insbesondere in die Recherche rund um die Mafia und zu verschiedensten Kriminalfällen eingebunden. Ihre Affinität in diesen Bereichen ist in “Wehrlos” eindeutig spürbar.

So strickt die Autorin eine perfide Story rund um die kleine Nele, die vor den Augen ihrer eigenen Mutter mitten auf dem Dorfspielplatz entführt wird. Zum Erstaunen aller sind es Kinderhände, die das kleine Mädchen vom Spielplatz direkt in den schwarzen Wagen führen. Relativ schnell wir dem Leser klar, dass es sich hierbei um keine Zufallstat handelt. Ganz im Gegenteil: Mieke - Neles Mutter - hat die Entführer ganz alleine auf das kleine Mädchen aufmerksam gemacht. Und Nele soll auch nicht das einzige Kind sein.

Die Bewertung von “Wehrlos” fällt mir nicht so einfach. Ich bin ein wenig zwiegespalten, was mitunter daran liegt, dass ich genretypisch etwas anderes erwartet habe. Meiner Meinung nach wurde das Genre “Thriller” hier verfehlt, während ich eher das Gefühl hatte, einen Krimi zu lesen. Hätte ich das Buch unter diesen Umständen lesen wollen? Wahrscheinlich eher nicht. Dennoch habe ich dieses Buch in der stetigen Hoffnung, mich würde noch irgendetwas überzeugen, innerhalb kürzester Zeit ausgelesen. Leider wurde meine Hoffnung jedoch nicht erfüllt, stattdessen gab es zum Ende der Story eine Wendung innerhalb dieser, die zwar unerwartet kam, aber mich dennoch einfach nicht überzeugen konnte. Hier machte es für mich eher den Eindruck, als würde die Autorin zum Schluss auf Biegen und Brechen noch etwas einbinden wollen, was den Leser mitreißt. Bei mir hat das leider nicht funktioniert. Was für mich persönlich ebenfalls ein Kritikpunkt ist, sind die sich stets wiederholenden Handlungen. Nele geht in den Keller, Nele kommt wieder hoch, Nele geht wieder in den Keller, Nele kommt wieder hoch. Nele liegt im Bett und weint, Nele schläft ein und so weiter. Es kam leider überhaupt kein “Nervenkitzel” auf, wofür der Thriller eigentlich steht. Stattdessen verfolgt der Leser hauptsächlich die ermittelnden Polizeibeamten und schaut ihnen dabei zu, wie sie den Fall aufklären. Und da sind wir wieder beim Krimi. Last but not least konnte mich leider auch der Schreibstil von Nora Benrath nicht überzeugen. Es gab viele Wort- und Satzwiederholungen, die wahrscheinlich dazu dienen sollten, das Erwähnte (etwa eine Emotion oder Situation) mit Nachdruck zu unterstreichen, aber auch das hat leider nicht funktioniert. Dies kann aber mitunter auch daran liegen, dass ich keinerlei Verbindung zu den einzelnen Charakteren aufbauen konnte. Möglicherweise waren es einfach zu viele unterschiedliche Protagonisten, andererseits waren sie leider auch nicht ganz so gut herausgearbeitet.

Nun möchte ich nicht nur eine negative Bewertung hinterlassen, sondern auch etwas Positives hinzufügen. Die Story an sich finde ich hervorragend. Aus der Idee hätte man wirklich etwas machen können. Außerdem regt der Fall rund um Nele sehr zum Nachdenken an. Wie gefährlich ist Social Media für unsere Kinder wirklich? Und wie gefährlich wird Social Media, wenn wir unsere eigenen Kinder regelmäßig als kleine Models, vielleicht sogar halb nackt im Pool oder am Strand online präsentieren? Sicher ist es kein Geheimnis, dass diese Präsentations- und Sensationsgier eigentlich ein absolutes No Go ist. Dennoch gibt es mehr als genug Eltern, die dem eigenen Like zuliebe mit der Privatsphäre des eigenen Kindes spielen. In diesem Kontext ist “Wehrlos” durchaus eine gelungene Story, die einen Appell hinterlässt und ganz klar aufzeigt, was passieren kann.

Mein Resümee: Leider kann ich für “Wehrlos” von Nora Benrath nur 2 Sterne vergeben. Aus meiner Sicht gibt es zu viele Kritikpunkte. Insbesondere die Tatsache, dass ich gefühlt keinen Thriller, sondern einen Krimi gelesen habe, ist für mich als Leserin enttäuschend.