Leicht irreführende Vermarktung

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bookdevourer Avatar

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*3,5 Sterne
Ich will kurz vorab erwähnen, dass der Cover wirklich schön ist und vor allem liebe ich das Gefühl das Gewebeeinbandes unter meinen Fingern.
Ein Kalmar erzählt Geschichten. Spannendes Konzept. Besonders einnehmend war auch die Perspektive dieses Kalmars, dessen Stellen auch von einem besonders poetischen Ausdruck profitieren, der die Aufmerksamkeit des Lesers verlangt. Auch die lehrreichen Bereiche des Buches (vor allem jene über Krill) waren ausgesprochen interessant und integrierten Themen wie Umweltschutz in den Text.
Allgemein hätte ich mir mehr von dieser tierischen Perspektive gewünscht und etwas weniger von den menschlichen Geschichten, erzählt von den Armen des Kalmars. Für mich variierten diese Erzählungen zwischen "faszinierend" und "banal", auch wenn sie im Kontext alle ihren Sinn haben. Besonders gefielen mir hier diejenigen der real-existierenden Akteure. Bis auf ein paar Fußnoten (die ich für sehr gelungen halte, da sie etwas Leben in den Text einbringen und auch den Charakter und die Dynamik der Arme des Kalmars zeigen) bekommt man in diesen Teilen des Buches allerdings recht wenig von dem Kalmar mit und auch der Ozean selber ist oft keine wichtige Figur.
Sehr beeindruckend fand ich, wie der Titel des Buches "Weil da war etwas im Wasser" immer wieder im Text aufscheint. Wie ein roter Faden zieht sich diese (leicht mysteriöse) Aussage durch das Buch und die Geschichten, bis man schließlich zum Schluss versteht, was mit dem "etwas" gemeint ist.
Passend dazu, finde ich auch dass das Buch ein gutes Gefühl davon vermittelt, dass alles miteinander verbunden ist und wie oft viele kleine Entscheidungen und Begebenheiten zum Eintritt des Unwahrscheinlichen führen.
Eines der Hauptthemen des Buches, welches eigentlich erst später an Gravität gewinnt, jedoch meiner Meinung nach dem potentiellen Leser bewusst gemacht werden sollte, ist das Gefühl der Scham. Und hier muss ich auch sagen, dass die Schilderungen dazu für mich nicht besonders nachvollziehbar waren. Zu extrem in ihren Auswüchsen. Dass ich mich damit kaum bis gar nicht identifizieren konnte, liegt aber wohl an meinem Aufwachsen und der Offenheit meiner Familie. Allerdings hat es mir gezeigt, wie tief dieses Gefühl scheinbar in unserer Gesellschaft verwurzelt ist und immer wieder weitergegeben wird, eine Erkenntnis, die ich wirklich recht bedrückend fand.
Als Gegensatz zur Scham, eine Art des Ausbrechens sozusagen, handeln die Geschichten auch häufig von der Sexualität (oft im Bezug auf heimliche und "peinliche"). Allerdings kam es mir hier schon fast so vor, als wollte der Autor damit schockieren oder als hätte er gerade erst selber das Tabu abgeschüttelt (was ja auch sein kann und das Buch scheint immerhin sehr persönlich), würde die Sexualität und den Körper aber noch immer als etwas morbide Faszinierendes behandeln und weniger als neutral-natürlich.
Letztlich handelt eine Geschichte auch von dem Autor selber (ob gänzlich real oder fiktionalisiert, bleibt offen). Ein Teil davon bezieht sich auf seine Herangehensweise an das Schreiben des Buches. Der Autor erklärt warum er bestimmte Entscheidungen gefällt oder andere verworfen hat. Teilweise schien es mir da als fühle der Autor sich verpflichtet dem Leser eine Erklärung zu geben, was einen wieder auf dieses Schamgefühl stoßen lässt, aber auch etwas von einer überflüssigen Rechtfertigung hat. Möglicherweise hätte ich ein bisschen mehr Subtilität in der Herangehensweise besser gefunden und auf die direkten Erklärungen verzichten können, aber eigentlich sollte es dem Buch (bei stimmigerer Präsentation) möglich sein eine passende Leserschaft zu finden, die sich mit den Hauptthemen besser identifizieren kann.