Umwerfend

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erle1 Avatar

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Manchmal, wenn auch selten, liest man Texte, die einem zeigen, dass die Kunstform "Roman" überraschen kann. Die Liebe zur Literatur ist bei mir ohnehin da, aber über solche Romane, die mir diese Liebe nochmal verstärken, stolpere ich doch selten. Dieses Jahr war das der Fall bei Elfriede Jelineks "Die Kinder der Toten", die meisten Romane Olga Tokarczuks haben diesen Effekt auf mich, Roberto Bolaños "2666" oder William Faulkners "Absalom, Absalom!" gehören ebenso in diese Liste.
Und jetzt eben "Weil da war etwas im Wasser", der Debütroman von Luca Kieser. Er erzählt aus der Sicht der Arme einer Riesenkalmarin von ihrem Leben wie vom Leben mehrerer Personen, die mit ihr in irgendeiner Weise in Verbindung stehen. Verbindung - ein zentrales Konzept in dem Roman: Familienbande ziehen von Person zu Person, intertextuelle Bezüge vernetzen verschiedene Bücher, jede unserer (Nicht-)Handlungen steht im Zusammenhang mit dem Klima.
Die acht Arme erzählen in verschiedenen Genres und Stilen: Das Leben als Tintenfisch wird sehr metaphorisch und poetisch vermittelt; eine Art experimenteller Essay führt in die Hintergründe des Krillfangs ein; ganz klassisch in der dritten Person wird vom Leben Jules Vernes und anderer Autoren und Künstler berichtet, die sich mit Riesenkalmaren auseinandergesetzt haben - historische Fiktion zuerst, dann sogar Autofiktion - ; das Tagebuch einer jungen Frau auf einem Frosttrawler schließt das Buch ab. Dazwischen diskutieren die Arme in Fußnoten, fallen sich gegenseitig ins Wort, ergänzen sich, fordern den*die Leser*in auf, zwischen den Seiten und Geschichten umherzuspringen.
Nichts daran wirkt aufgesetzt oder gekünstelt. Ernsthaftigkeit und Witz stehen nebeneinander, außerdem eine große Ehrlich- und damit einhergehende Verletzlichkeit. Luca Kieser ist ein großer Wurf gelungen: Er zeigt, dass auch 400 Jahre nach Cervantes der Roman als Form innovativ sein kann - multiperspektivisch, poetisch, experimentell. Ein Buch, das mich beglückt hat und noch lange beglücken wird.