Von Neuanfängen

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eulenmatz Avatar

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MEINUNG:

Ich bin durch Zufall auf das Buch aufmerksam geworden, weil eine Freund gefragt hatte, ob wir auf eine Lesung dazu wollen. Bisher war mir Thorsten Pilz noch nicht bekannt. Ehrlich gesagt hätte ich ohne den Tipp wohl auf Grund des Covers und den relativ nichtssagenden Titels - Weite Sicht wohl nicht zu dem Buch gegriffen.

Es ist die Geschichte von vier Frauen in 242 Tagen. Charlotte muss nach dem Tod alles in Fragen stellen, was sie von ihrem Leben zu wissen glaubte. Gesine, ihre Schwester, die mit dem Leben nicht so richtig zurecht kommt, aber nicht weiß, wie sie um Hilfe bitten soll. Sabine, eine Freundin der beiden, die einsam ist und den Tod ihres Mannes nicht los lassen kann. Und dann ist da noch die Dänin Bente, mit der der Kontakt von heute auf morgen zum Stillstand kam und die um ihre noch vorhandene Lebenszeit fürchtet.

Ehrlich gesagt bin ich manchmal skeptisch, wenn die ProtaginistInnen in Büchern schon in letzten Drittel ihres Lebens sind. Häufig wirkt es irgendwie verstaubt, eigenartig und verschroben, aber das war hier überhaupt nicht so. Alle vier Frauen sind noch vergleichsweise fit. Trotz ihrer Schicksalsschläge sind sie immer bereit neue Dinge anzugehen und auch nochmal das ganze Leben mit Anfang 70 umzukrempeln, genauso wie es Charlotte getan hat. Charlotte war auch mein Lieblingscharakter. Sie war am besten ausgearbeitet. Erst kommt der Tod von ihrem Mann, den ich absolut furchtbar fand - leider ein recht typischer alter, weißer Mann, der nach seinem Tod noch ein ziemlich großes Geheimnis offenbart. Charlottes Schwester Gesine fand ich ein bisschen anstrengend. Sie ist ziemlich extrovertiert, kommt aber nicht so richtig mit ihren Leben zurecht und ein offensichtliches Alkoholproblem. Dann ist da noch Sabine, die bei den Schwestern aufgewachsen ist. Sie trauert nach gefühlten Jahrzehnten immer noch ihrem Mann hinterher und kann dies nicht hinter sich lassen. Von sich selbst glaubt sie scheinbar ein recht unscheinbare sprichwörtliche graue Maus zu sein, obwohl das einige Personen ganz anders sehen. Bente, die vierte im Bunde, fand ich auch sympathisch, da sie so viel Lebensfreude hat und wie viele Dänen sehr direkt und ehrlich ist.

Ich mochte die Bezüge zu Dänemark, vor allem besonders den Bezug zu Karen bzw. Tania Blixen. Ich war selbst schon in Rungstedlund und konnte vieles vor meinem inneren Auge sehen. Es gibt immer wieder auch dänische Sätze. Der Autor hat die dänische Landschaft und Kultur gut eingefangen. Ich fand die Biographien der Frauen spannend gestaltet. Alle sind sehr unterschiedlich, dennoch fand ich das die Entwicklung von allen vieren nicht gleich gut gelungen ist. Vor allem bei Sabine und Gesinde hätte ich mir noch ein bisschen mehr "Futter" (gerne mehr Seiten) gewünscht. So richtig schlau bin aus beiden nicht geworden und wie sie sich ihre Zukunft vorstellen. Bei Charlotte und Bente ist absolut klar gewesen. Ihrer beider Geschichte hat mein Herz sehr berührt. 

FAZIT:

Weite Sicht hat mich überrascht, weil ich dem Cover und Titel nach nie zu dem Buch gegriffen hätte. Nun habe ich eine sehr warmherzige Geschichte von vier Frauen gelesen in einem sehr angenehmen flüssigen Schreibstil. Für mich hätte es gerne noch ein bisschen mehr Seiten sein dürfen. Die Geschichte zeigt, es ist nie zu spät für Neuanfänge.