Anna und Marie

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Constanze Neumann, deren Urgroßvater 1943 nach Auschwitz deportiert wurde und dies nicht überlebte, betont nachdrücklich, dass dem Roman reale Figuren und Ereignisse zugrunde liegen, aber es nicht nur darum ging, die historischen Abläufe genau wiederzugeben. Teil I des Romans ist der Figur der Anna gewidmet, die als Frau ihrer Zeit dazu bestimmt war, standesgemäß zu heiraten und eine Schar Kinder in die Welt zu setzen. Ihre Erziehung folgte diesem Zweck, sie zu standesgemäß zu verheiraten und zu ermächtigen, ein großes Haus mit dem entsprechenden Personal zu führen und den Ruf und den Wohlstand ihres künftigen Gatten zu mehren. Anna beugt sich dem und ehelicht zunächst den kränklichen Adolph Reichenheim, dessen Familie mit Textilhandel zu Geld gekommen ist. Nach seinem frühen Tod hält der Bruder Julius um ihre Hand an und die junge Witwe Anna mit ihrer kleinen Tochter sagt ohne Zögern zu. Ihre Zukunft entspricht genau dem, was für sie vorgesehen war. Innerhalb weniger Jahre setzt sie eine staatliche Zahl an Kindern in die Welt und erfüllt ihre gesellschaftlichen Pflichten. Nur ihr erstgeborener Sohn Heinrich macht ihr Kummer. Er zeigt keinerlei Interesse an den jüdischen und großbürgerlichen Traditionen der Familie, hat keinen beruflichen Ehrgeiz, sondern treibt sich im Nachtleben herum und frönt der Spielsucht. Sein Onkel Arthur, dem bei ähnlichem Lebenswandel nur der Weg in den Selbstmord blieb, ist ihm dabei keine Warnung. Im Teil II geht es um die Verbindung von Heinrich zur nicht standesgemäßen Marie. Anna und Marie trennt nicht nur eine Generation! Der Autorin ist es wunderbar gelungen, zwei sehr unterschiedliche Frauen vor ihrem jeweiligen historischen Hintergrund zu zeichnen, den heraufziehenden Nationalsozialismus zu beschreiben und zu verdeutlichen, dass bereits vor der Jahrhundertwende ein sowohl latenter als auch offener Antisemitismus in den Köpfen vieler herrschte.