Authentische Familiengeschichte aus der Sicht zweier starker Frauen bewegend erzählt

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„Wellenflug“ von Constanze Neumann ist als Hardcover mit 336 Seiten im August 2021 bei Ullstein erschienen.
Der Roman basiert auf der Familiengeschichte der Autorin selbst und sie verwebt in ihrer Erzählung historische Fakten und Fiktion zu einem feinfühlig geschilderten, sorgfältig recherchierten, abgerundeten Ganzen.

Erzählt wird das Geschehen von 1864 an, aus der Sicht von Anna, der Urgroßmutter der Autorin, einem kleinen Mädchen, das sich bereits sehr für das väterliche Unternehmen, einen Stoffhandel, interessiert. Annas Vater ist ein ehrgeiziger Mann und will für seine Tochter nur das Beste, und so kommt es, dass sie den Großindustriellen Louis Reichenheim heiratet und nach dessen frühem Tod seinen Bruder Julius. Die beiden bekommen schnell Nachwuchs, und in den Erstgeborenen Heinrich setzen die stolzen Eltern alle Hoffnungen.
Dieser allerdings interessiert sich mehr für das Berliner Nachtleben als für das Familienunternehmen, ebenso schert er sich nicht um jüdische Gebräuche. Zum Entsetzen seiner Mutter heiratet Heinrich schließlich Marie, die aus ärmlichen Verhältnissen stammt.
Die beiden wandern aus nach Amerika, kehren aber später in den Jahren des ersten Weltkrieges nach Leipzig zurück.

Constanze Neumann hat uns Leser mittels zweier Erzählstränge am Leben von Anna und von Marie teilhaben lassen. Sie beleuchtet das Geschehen aus der Sicht von Anna in den Jahren 1864 – 1905, dann von 1905 – 1957 aus dem Blickwinkel von Marie.
Besonders interessant sind dabei sowohl die sehr unterschiedlichen Gesellschaftsschichten als auch die Kriegswirren. Das Thema Judenverfolgung im zweiten Weltkrieg hat ebenfalls einen gebührenden Stellenwert bekommen.
Spannend finde ich, dass die beiden Frauen so verschieden sind, wie es nur geht, aber sie haben zwei Dinge gemeinsam: 1.: auf ihre Weise ist jede der beiden Protagonistinnen eine wahre Kämpferin., 2.: beide lieben sie Heinrich, wenn auch der Bruch zwischen Mutter und Sohn bis zu Annas Tod 1932 nicht mehr gekittet wurde, da Anna nicht über ihren Schatten springen und die Standesdünkel außer Acht lassen konnte…Bezeichnend auch, dass sich die beiden Frauen niemals persönlich kennenlernten…

Der Schreibstil der Autorin ist authentisch, einfühlsam und gibt die Schwere der Thematik auf eine irgendwie leichte, vor allem aber fesselnde Art wieder.
Durch die bisweilen etwas distanziert wirkende Erzählweise konnte mich die Handlung umso mehr beeindrucken und stellenweise erschüttern.
Die Charaktere sind detailliert und liebevoll gezeichnet und es hat unheimlich viel Spaß gemacht, die Entwicklung der einzelnen Personen mitzuverfolgen. Während Anna vom unbeschwerten kleinen Mädchen zur harschen, unbeugsamen Dame der Gesellschaft reift, kommt Marie mit Stärke und Mut immer wieder weiter. Heinrich, der sich in jungen Jahren eher dahintreiben lässt und keine feste Position bezieht, wird durch die kluge, starke Frau an seiner Seite gefestigt.

Insgesamt eine absolut lesenswerte Familiensaga, in der starke Frauen herausragende Rollen spielen!