Bittere Familienchronik

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luna66 Avatar

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Es ist beachtlich, wie gründlich die Autorin für ihren Roman recherchiert hat. Dadurch erhält das Buch eine hohe Authentizität, die beinahe dokumentarisch anmutet. Aber genau hier liegt auch mein Kritikpunkt: Durch den distanzierten, nüchternen Schreibstil fiel es mir unglaublich schwer Empathie und Verständnis für das Handeln der Personen aufzubringen.

Da ist die Jüdin Anna Reichenheim, dünkelhafte und unversöhnliche Tochter aus gutem Hause, deren einziges Bestreben darin zu bestehen scheint, sich standesgemäß zu verheiraten und dasselbe für ihre sechs Kinder zu erreichen. Durch die enormen Zeitspünge im Roman - innerhalb weniger Buchseiten wurden Jahrzehnte abgehandelt - gab es wenig Raum im Roman für ihre Gefühle, Ängste und Sehnsüchte.

Auf der anderen Seite gibt es Marie, ein Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen, das sich auf eine Beziehung mit Annas Sohn Heinrich Reichenheim einlässt. Ab und an blitzt Wärme und Stärke in ihrer Person hervor, jedoch gelingt es ihr nicht den Mann loszulassen, der sie belügt und betrügt, sie bleibt in den Zwängen ihrer Zeit gefangen. Auch bei ihrer Personenzeichnung hätte ich mir mehr Feinheiten, mehr Details, mehr Tiefe gewünscht, um Zugang zu ihrer Figur zu finden. So bleibt Marie für mich als Leser seltsam blass und konturenlos.

Schade, trotz der durchaus interessanten ( zum Teil auch hinreichend bekannten ) historischen Fakten konnte mich Constanze Neumanns Roman nicht wirklich fesseln. Daher nur eine eingeschränkte Leseempfehlung!