Die Zukunft gehört dir. Vergiss das nie.

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
owenmeany Avatar

Von

Schade, dass Anna sich zeitlebens gegen die Begegnung mit Marie sperrt, denn ich bin überzeugt: die beiden hätten einander gemocht. Zwei charakterstarke Frauenfiguren in schweren Zeiten porträtiert Constanze Neumann hier in höchst einfühlsamer Art und Weise.

Die Jüdin Anna, aufgewachsen in wohlhabenden Verhältnissen einer Unternehmerfamilie, kämpft gegen die Ressentiments und später den Hass der deutschen Mitbürger, Marie gegen die Respektlosigkeit der großbürgerlichen Schicht wegen ihrer einfachen Herkunft. Dabei muss sie sich auch noch auseinandersetzen mit den Kapriolen ihres geliebten Ehegatten, der sie zunächst aus einer ausweglosen Situation befreit und ihr einen sorgenfreien Lebensstandard ermöglichst, aber schließlich durch zwei Handicaps in Bedrängnis bringt: als unsolider Lebenskünstler nimmt er alle ein mit seinem unwiderstehlichen Charme, aber niemand kann sich dauerhaft auf ihn verlassen, und was noch schwerer wiegt in diesen Zeiten des Nationalsozialismus – als Jude wird er aller Rechte beraubt und kann seines Lebens nicht mehr sicher sein.

Mich hat beeindruckt, wie realistisch und glaubwürdig Neumann die Personen abbildet, daran erkennt man ihr intensives Quellenstudium der leibhaftigen Vorbilder. Jede Figur hat ihre Licht- und Schattenseiten, wie es im richtigen Leben halt so ist. In der Verzweiflung kommt man oft nicht mit Primärtugenden wie Fleiß, Sauberkeit und Ehrlichkeit weiter, sondern man muss sich auch durchmogeln können. Gerade im Kontrast, aber auch in den Ähnlichkeiten von Anna und Marie entwickelt sich eine eindrucksvolle psychologische Stringenz, die zur Identifikation einlädt.