Spannende Familiengeschichte aus zwei gegensätzlichen Blickwinkeln

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
_sabrina_ Avatar

Von

Anna Reichheim ist jüdischen Ursprungs und in ihrer Zeit war es eminent „richtig“ zu heiraten. Genau das ist ihr gelungen und sie gebar einige Kinder, um deren Wohl sie ständig gemüht war. Einzig der Älteste schlägt aus der Reihe und vergnügt sich lieber im nächtlichen Treiben Berlins. Dort trifft er auf Marie, eine junge Frau, die alles andere als standesgemäß, aber herzensgut ist. Reibereien und Streit innerhalb der Familie sind vorprogrammiert.

In ersten Teil geht es um die Geschichte Annas, die als Kind schon irgendwie ihren eigenen Kopf hatte und sehr gerne mit dem Vater im Kontor unterwegs war – auch wenn die Mutter das nicht sehr gerne sah. Mit dem Tod ihrer Schwester muss Anna schnell erwachsen werden. Fortan wurde Wert daraufgelegt, dass sie standesgemäß heiraten wird und einen großen Haushalt führen kann. Anna findet dann tatsächlich einen passenden Mann, den sie auch gernhat, doch Adolph Reichenheim war immer schon kränklich und verstirbt früh. Dessen Bruder nimmt jedoch seine Stelle ein und Anna lebt mit ihren Kindern wohlhabend mitten in Berlin. Immer mehr Kinder kommen zur Welt und alle sind wohl geraten – nur der älteste Sohn Heinrich hat nur Flausen im Kopf. Statt im Textilbetrieb seines Vater zu arbeiten oder anderweitig Karriere zu machen, ist er auf seinen Lustgewinn aus und schert sich nicht um Familientraditionen.

Im zweiten Teil geht es um Marie, die aus ärmlichen Verhältnissen stammt und die es auch in Berlin nicht so richtig voran schafft, trotz ihrer Bemühungen. Sie trifft auf Heinrich und Welt prallen aufeinander. Marie heiratet Heinrich, obwohl einiges im Argen liegt und sie nicht von dessen Mutter akzeptiert wird. Die beiden Frauen sind so unterschiedlich in ihrem Denken und Handeln, sind dazwischen nicht nur eine Generation, sondern eben auch eklatante Standesunterschiede, die unüberbrückbar scheinen.

Beide Frauen sind etwas Besonderes und ich mochte auch beide, denn aus ihrem Blickwinkel betrachtet haben sie immer nur das Beste gewollt und versucht. Im ersten Teil war mir Anna ziemlich sympathisch und man verstand ihre Beweggründe sehr gut anhand ihrer Biografie. Auch Annas Handeln ist verständlich – nur in der Geschichte der jeweils anderen hält sich die Sympathie dann in Grenzen. Hier wird sehr deutlich, dass an dem Spruch – „Bevor du urteilst, ziehe meine Schuhe an und gehe meinen Weg“ – schon einiges dran sein kann.
Besonders reizvoll ist natürlich, dass der Geschichte reale Personen und Ereignisse zu Grunde liegen und die Geschichte somit noch deutlich mehr Tiefe hat, als ein rein fiktionale. Die Verbindung der beiden Frauen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, eingebettet in den historischen Hintergrund, der immerhin die beiden Weltkriege beinhaltet, ist richtig gut gelungen.
Der Schreibstil ist ansprechend, fesselnd, spannend und unterhaltsam. Die Autorin schafft es, trotz schier endloser Figuren, die wesentlichen Charaktere so gut zu beschreiben, dass man sie auseinanderhalten kann. Die Entwicklung des Nationalsozialismus ist sehr gut nachvollziehbar dargestellt, auch das manche eben nicht direkt verstanden, wie schlimm noch alles werden würde.

Mich hat das Buch wirklich begeistert und ich empfehle es daher auch gerne weiter, besonders an Leser mit Faible für besondere Familiengeschichten.