Zwei Frauen - zwei Lebensentwürfe

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throki Avatar

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Das Buch handelt von zwei Frauen, die in unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Lebensentwürfen leben. Das verbindende Glied ist Heinrich Reichenbach, der Sohn von Anna und Ehmann von Marie.
Anna ist in wohlhabenden Verhältnissen aufgewachsen, sie heiratet den reichen jüdischen Tuchhändler Adolph Reichenbach und nach dessen Tod seinen Bruder Julius. Nach der Geburt zahlreicher Kinder widmet sie sich ganz der Familie und ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen. Besonders wichtig ist ihr, dass ihre Kinder in die "richtigen" Kreise einheiraten. Da ist es eine besondere Enttäuschung, dass der älteste Sohn Heinrich ein Filou ist, spielt, keiner regelmäßigen Arbeit nachgeht und immer wieder mit Frauengeschichten Aufsehen erregt.
Marie ist unter ärmlichsten Umständen aufgewachsen, sie geht nach Berlin und schlägt sich als Garderobenfrau durch, als sie Heinrich kennenlernt. Als Heinrich nach New York "verbannt" wird, folgt sie ihm und sie heiraten. In Erie bauen sie sich ein schönes Leben auf, aber als der 1. Weltkrieg beginnt, will Heinrich zurück nach Deutschland.
Marie wird von Anna nie akzeptiert und nie empfangen.
Der Gegensatz zwischen den beiden Frauenleben ist gravierend, das arbeitet Neumann gut heraus. Standesdünkel und Härte gegen sich und andere sind Annas hervorstechende Eigenschaften. Damit steht sie sich auch selbst im Wege. Marie kann sich bemühen, aber sie wird nie anerkannt, obwohl Heinrichs Brüder und ihre Familien die beiden immer wieder mit Geld und Hilfe unterstützen. Sie kommt einfach aus dem falschen Stall.
Das Buch ist sehr bildhaft geschrieben. Man sieht sie vor sich, die reichen Damen mit den opulenten Hüten, die abgerissenen Kinder mit kaputten Schuhen. Manchmal kann Neumann allerdings die Kitschfalle nicht ganz umgehen.
Das Buch ist eine frei interpretierte Familiengeschichte der Vorfahren von Constanze Neumann, Heinrich ist ihr Urgroßvater. Sie erreicht damit Nähe zu ihrer eigenen Geschichte, wahrt aber auch Distanz zu den handelnden Personen. Sie schafft es, das 19. und 20. Jahrhundert mit allen seinen Freuden und Schrecken lebendig werden zu lassen, das hat mir gut gefallen.
Den Gegensatz der beiden Frauen, die Erziehung und den Umständen ihres Lebens geschuldet sind, fand ich sehr spannend zu lesen. Während Anna in ihrem Leben verharrt und sich den Zeitumständen wenig anpasst, ist Marie gezwungen sich immer wieder neu zu orientieren und neu zu erfinden. Sie ist nach meiner Meinung die Stärkere der beiden Frauen.
Ein gutes Buch!