Die Veränderung bekommt ein Gesicht ... und verliert ein wenig den Schrecken

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kermit80 Avatar

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Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat uns gezeigt, dass keine bestehende (Welt-) Ordnung für die Ewigkeit gebaut ist. Aber warum hat mich das in Europa gefühlt so unerwartet getroffen? Wie ist unsere aktuelle Mächte-Ordnung zustande gekommen? Und in welche Richtung wird sie sich entwickeln?

Der Titel des Buches konfrontiert mich mit genau diesen Fragen. Veränderung hat es immer schon gegeben. Aber die Geschwindigkeit hat sich durch die gesteigerten Informations-Verfügbarkeiten und globalen Verflechtungen erhöht. Um Antworten und einen Ausblick geben zu können, holt Herfried Münkler ziemlich weit aus. Er greift Großreichsbildungen (z.B. des römischen Reichs) ebenso auf wie die Rahmenbedingungen, die zum ersten Weltkrieg als auch zum Kalten Krieg führten. Er erläutert unterschiedlichste Modelle der Friedensordnungen und deren Auswirkungen auf das Handeln der beteiligten Staaten. Gleichwohl zeigt er auf, wie geopolitische Veränderungen ehemalige Großmächte oder Kolonialmächte in schwere Identitätskrisen gestürzt haben. Dabei scheut er weder die Herausforderung, Russlands aktuelles weltpolitisches Verhalten zu analysieren und in den Kontext der Vergangenheit zu setzen. Noch scheut er die kritische Auseinandersetzung mit der Hilflosigkeit der Vereinten Nationen oder dem Verhalten der aktuellen Großmächte.

Doch wie sieht die kommende Welt(-Ordnung) aus? Die exakte Entwicklung kann der Autor selbstverständlich nicht voraussagen. Er zeigt aber in seinen theoretischen Überlegungen (und basierend auf den hergeleiteten Erfahrungen der Vergangenheit) eine durchaus plausible Konstellation auf. Gleichzeitig weist er auf die Chancen und Herausforderungen hin, denen sich nicht alle Beteiligten gegenübersieht. Gerade Europa steht an einem Scheidepunkt, welche Rolle es in der Welt von morgen zu tragen bereit ist (und ob es den Preis dafür „bezahlen“ will).

Das Buch ist sicherlich keine leichte Kost. Anfangs war mir der geschichtliche Ausholschwung fast schon zu weit. Am Ende des Buchs war ich jedoch froh um die weitereichenden Informationen. So wurden die aktuellen Herausforderungen für uns in Europa (aber auch die ganze Welt) und die Schussfolgerungen für die zukünftigen Entwicklungen für mich erst greifbar. Insgesamt ist das Buch gut und verständlich geschrieben. Auch wenn manche Kapitel von schwierigeren Textpassagen und doch etwas hochtrabenden Formulierungen gespickt sind (da liest man Absätze schon zweimal). Aber hey, es ist ja auch kein Fantasy-Roman, sondern ein Sachbuch.

Die behandelten Themen werden mich sicherlich noch weiter beschäftigen. Und das Buch hat mir eine gute Basis für die Bewertung auch aktueller politischer Vorgänge gegeben. Mir gibt es etwas Vertrauen in die Welt- und Mächte-Ordnungen zurück, welches in unserer aktuellen Zeit doch gerne mal ins Wanken gerät. Und ich will hoffen, dass ein paar der Gedanken den Weg in die Realität finden.