Lohnt sich der Aufruhr?

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heidersv Avatar

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Lohnt sich der Aufruhr?
Mit großen Vorschusslorbeeren ist das Buch „Welt in Aufruhr“ – Die Ordnung der Mächte im 21. Jahrhundert angepriesen worden, und anfangs hält es, was es verspricht.
Herfried Münkler zeigt anfangs, dass das, was wir hier als „Aufruhr“ ansehen und was uns in Europa so verunsichert, eigentlich vorauszusehen war. Und er legt den Finger in die Wund und analysiert messerscharf, was die Europäische Union versäumt, ja geradezu verschlafen hat und wovor sie die Augen verschlossen hat. Das ist absolut großartig. Dann beschreibt er die tatsächliche Lage scho-nungslos und weist darauf hin, dass es definitiv keinen „Hüter der Ordnung“ geben wird, auf den man die Verantwortung schieben kann. Die UN blockiert sich selbst, die USA haben die Nase voll und abgesehen davon wird ihr Eingreifen auch immer kritischer gesehen. Und er propagiert von Anfang an, dass einer Pentarchie, also einer Konstellation aus 5 Mächten die Zukunft gehört. Alternativ sieht er schwarz für die Zukunft. Das wird nachvollziehbar erläutert, auch wenn die historischen Beispiele bei kritischer Betrachtung doch alle irgendwie wenig effektiv im Verhindern großer Kriege oder eines längerfristigen Bestandes der Pentarchie waren. Aber es kann ja in Zukunft besser werden. Bis hierhin bin ich dem Autor gerne gefolgt.
Das Buch ist jetzt halb durch und es folgt die zweite Hälfte. Und da wird es zunächst merkwürdig, zwei biblische Figuren – Monster aus dem Alten Testament- werden zu Sinnbildern für heutige Kon-flikte. Hm? Dazu wird dann extrem ausführlich ein (!) Autor herangezogen, der diese biblischen Figu-ren zunächst einmal umfunktionierte um daraus einen Gegensatz zu bilden, der wiederum auf die heutige Welt und die seit gut 200 Jahren angewendet wird. Nur meiner Meinung nach falsch. Die großen maritimen Mächte, also zunächst hauptsächlich England, später die USA haben ihre Kriege und natürlich erst recht die Weltkriege nämlich NICHT durch ihre See- und Handelsherrschaft gewon-nen, sondern durch den massiven Einsatz von Landtruppen. Da wirkt es schon sehr extrem reinge-quetscht, wenn die Sanktionen, mit denen Europa, die USA und andere gerade Russland überziehen als typisch für den Leviathan -das Seemonster- genannt werden.
Leider bleibt es inhaltlich auf diesem zumindest fragwürdigen Niveau. 3 Theoretiker des Krieges und der Diplomatie werden zitiert und erneut wird mühsam versucht, deren Ideen auf die heutige Welt zu übertragen. Mühsam bis widersprüchlich. Bei Thukydides zum Beispiel hat es ja den großen Krieg zwischen Sparta und Athen gegeben. Droht heute wirklich ein Krieg zwischen der Nato und Russland? Wegen der Ukraine? Das glaubt ja noch einmal der Autor. Nur dann ist Thukydides kein Beleg für eine übertragbare Analyse. Macchiavelli hat sich so oft selbst widersprochen, dass seine Beschreibung eher wertlos ist. Und Clausewitz kommt auch nur bis Napoleon. Das Einzige, was bei ihm beden-kenswert ist, ist sein Hinweis auf die Kampfmoral der Bevölkerung, die bedeutsam bis entscheidend sein kann.
Zum Schluss aber wird es geradezu ärgerlich, was der Autor der Leserin und dem Leser anbietet. Eine Pentarchie kann das Ganze halbwegs ausbalancieren. Dass es bei drei Großmächten leicht zu einem „zwei gegen einen“ kommen kann und das nicht wünschenswert ist, ist noch selbsterklärend. Aber ohne jede Begründung und wirklich nur mit einem einzigen Satz (!) wird eine 7er-Gruppe als Lösung verworfen. Tatsächlich aber analysiert der Autor, dass zwei seiner fünf, nämlich die EU wegen ihrer Uneinigkeit und Russland, das sich selbst durch den Ukraine-Krieg erheblich schwächt, eigentlich gar keine echten Großmächte auf Augenhöhe zu den USA und China sind. Ach, wer ist eigentlich der Fünfte im Bunde? Erwähnt wird hin und wieder im Buch Indien um dann auf buchstäblich den letzten beiden Seiten (!) des Buches zu beschreiben, warum Indien eigentlich gar nicht in den Kreis der 5 passt.
Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, hat der Autor die Idee einer Pentarchie für unsere Welt bei Carl-Friedrich von Weizsäcker aus dem Buch „Wege in der Gefahr“ übernommen. Doch dieses Buch befindet sich nicht im Quellenverzeichnis. Ist da jemand etwa mit einem Herrn von Guttenberg verwandt?