Verschiebung von Wichtigkeiten im Alter

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marcialoup Avatar

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Bo ist 89 und er nimmt uns mit in sein aktuelles Leben, Zuahuse, mit seinem Hund Sixten, der ihm alles bedeutet - ALLES!
Doch sein Sohn Hans will ihm Sixten wegnehmen, weil seiner Ansicht nach Bo nicht mehr in der Lage sei, sich um den Hund ausreichend zu kümmern. Auch andere Unstimmigkeiten zwischen Bo und Hans belasten Bo. Hans' Ungeduld im Umgang mit der Situation des Kümmerns ist spürbar.

Bo's Frau ist schon länger nicht mehr da, nachdem die Demenz sie ergriffen hat... Die Besuche im Demenzzentrum nehmen Bo immer sehr mit, denn die äußere Hülle seiner Frau Fredrika zu sehen, ist schmerzlich, weil ihr Inneres Bo und die Familie nicht erkennt und nicht mehr erreicht.
Bo ist aber innerlich stark mit ihr verbunden und Erinnerungen begleiten seinen Alltag, der von freundlichen Pflegekräften bunter gestaltet wird.
Sein Nachbar und Freund Ture ist ebenfalls ein steter Begleiter.

Das Buch liest sich gemächlich. Der Langsamkeit des Alterns angepasst, wird man in die Schwere und gleichzeitig beinahe schwerelose Gelassenheit eines fast 90jährigen gezogen. Man versteht, dass manche Dinge eine andere Wichtigkeit erhalten und Kleinigkeiten im Alltag unwichtig werden, die aber zum Beispiel seinen Sohn Hans im Umgang stören oder selbst die Pflegekräfte, weil es nicht der Norm entspricht.
Warum nicht kann Bo nachts einen Brief an seine Frau in den nahegelegenen Briefkasten bringen, ohne dass die Pflegekraft gleich vehement eingreift und ihn als verwirrt bezeichnet?
Wenn wir, die mitten im Leben stehen, dies tun würden, keiner würde uns fragen oder es verbieten, ist doch unsere Sache, ob wir nachts an den Briefkasten gehen!

Die von den Pflegekräften geleisteten Einträge in deren Pflichtheft über den Pflegezustand geben Auskunft über die Einschätzung Dritter zu Bo - quasi von außen betrachtet.
Losgelöst betrachtet erscheint der Ablauf der Pflege als System, in das Menschen hineingequetscht werden. Es geht ja nicht ohne Struktur, aber ein Mensch, egal wie alt, ist nicht einfach nur Struktur.

Das Buch rüttelt auf und lenkt unseren Blick in ein Leben, das wir eines Tages erreichen (können), aber wollen wir unsere Selbständgkeit abgeben bloß weil wir ur-alt sind?
So vieles ändert sich mit dem Alter/n, was auch eigener Akzeptanz bedarf, doch es scheint, als seien Veränderungen Fehltritte, die "behandelt" werden müssen. Entwürdigende Momente der Inkontinenz, Einsamkeit, Kraftverlust, Hilfsbedürftigkeit, Unverständnis...

Die gemächliche Erzählung verwandelt sich in eine Zärtliche und Traurige und regt dabei zum Nachdenken an im Umgang mit pflegebedürftiger und/oder ü80 Generation. Man sollte vielmehr ihren Geschichten zuhören, Erfahrungen von unschätzbarem Wert können Jüngeren Kraft und sicher noch viel mehr geben.
Ich lerne in diesem Buch eine andere Betrachtungsweise, auch auf die Dinge, die meine pflegebedürftige Mutter betreffen ob der Wichtigkeit zu unterscheiden.

Bo's Geschichte ist so zart und zerbrechlich, sie ist still und laut gleichermaßen und so wichtig, dass sie geschrieben wurde!
Ich wünsche mir, dass dieses Buch etwas verändert in der Gesellschaft, sodass man Pflegebedürftigen mit einem ausgewogenen Respekt begegnet, der eigenen Willen zulässt und ihnen irgendwie ganz viel Zeit schenkt!

Dieses Buch hallt lange nach, man sitzt in der Küche mit Bo, und ich bin ziemlich froh, dass die Pflegekraft Ingrid so oft bei Bo ist!