Der Sonnenuntergang an der französischen Riviera

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Da ist er wieder. Wie es sich gehört, kommt alle zwei bis drei Jahre ein neuer Illies auf den Büchermarkt. In den letzten Jahren war der Autor sogar noch fleißiger als sonst, musste doch noch zwischendrin das Caspar David Friedrich Jubiläum abgearbeitet werden.

Der aktuelle Band reist nun mit den prominenten Exilanten der ersten Stunde an die südfranzösische Küste. Sanary, damals noch ohne „sur-mer“, liegt an der Küste zwischen Nizza und Marseille, mehr hin nach Nizza, in der Nähe von Toulon. Hier treffen sie sich merkwürdigerweise alle, in diesem Kaff. Die komplette Familie Mann, Thomas und Katia, dazu gelegentliche Groß- oder Schwiegereltern, alle sechs Kinder in verschiedenen Konstellationen, Bruder Heinrich, entweder allein oder mit relevanten Damen, später dann mit seiner festen Partnerin Nelly, als der eine spektakuläre Flucht aus Berlin gelingt, das Ehepaar Feuchtwanger, das Ehepaar Huxley, Ludwig Marcuse und, und, und …. Dort sind sie fast alle immer mal wieder an einem Ort. Die von den Nazis Gejagten, Gesuchten und im März 1933 Verbrannten.

Lothar Müller fragt in der Süddeutschen Zeitung vom 22.10.2025: „Ist das noch Geschichtsschreibung oder doch schon reine Fiktion?“ Anders formuliert und lösungsorientiert gedacht, einigen wir uns auf den Terminus „romantische Sachliteratur“.

Die Sache beginnt wie das ganze Unheil seinen Anfang nimmt. Schon vor der so genannten Machtergreifung im Januar 1933 ist das Land in Aufregung. Besonders den meisten der so genannten Linksintellektuellen wird bei dem Gedanken an die Zukunft Angst und Bange. Den einen zumindest. Die anderen sind überzeugt, dass der braune Spuk so schnell gehen wird wie er gerade kommt. Keine Aufregung, was stört’s die deutsche Eiche, wenn sich das Warzenschwein an ihr schubbert. Die Manns lassen die Koffer packen. Es geht auf Vortragsreise, mit seinem Leib- und Magenthema im Gepäck: Richard Wagner. Die Reise misslingt. Die großen Kinder, Klaus und Erika, machen Druck. Die Eltern sollen in die Schweiz fahren und nicht zurückkommen. Nur Tage später tritt der Bruder Heinrich, getarnt als Fußgänger, über die deutsch-französische Grenze. Nach und nach erfolgt der Exodus der Familie, von den „Urgreisen“, gemeint sind die Großeltern Pringsheim, bis zum Jüngsten, Michael Thomas Mann, genannt „Bibi“.
Nun zoomt uns Florian Illies ganz nah heran. Was sich in den ersten Wochen noch wie Urlaub anfühlt, bekommt bald einen schalen Beigeschmack. So schön die Nähe zu den anderen Exilanten manchmal ist, in der Regel gehen sie einem doch gehörig auf die Nerven. Darüber kann man sich später bei den Manns am Tisch ganz herrlich austauschen, und diese dann auch trefflich parodieren.

Thomas, der Dichterkönig, ist aus dem Lot. Der eisern getimte Tagesrhythmus kann oft nicht eingehalten werden. Er kann nicht schlafen. Er kann nicht schreiben. Sein großes Werk „Joseph und seine Brüder“ liegt in Teilen fertig, aber unangerührt, obwohl das Urmanuskript unter Mühen und Risiko aus Deutschland heraus transportiert wurde. Sein Verleger, Samuel Fischer, spielt geschickt auf der Klaviatur zwischen wirtschaftlichem Erfolg und dem Versprechen, das der Vater seinem Sohn Klaus gegeben hat. Der „Joseph“ soll im Amsterdam’schen Verlag Querido erscheinen, dort, wo auch Klaus‘ politische Zeitschrift „Die Sammlung“ erscheinen wird.

Der Nobelpreisträger schreibt Briefe und Tagebuch. Klaus und Erika sind unentwegt quer durch Europa unterwegs, machen Kontakte, planen Aktionen. Erika als Kabarettistin, Klaus als Journalist und Herausgeber. „Der Zauberer“ kann sich nicht zu einem klaren Wort gegen die Nazis entschließen. Da muss erst der halbe Kontinent in Trümmern liegen, bevor dies passiert. Viele, bereits bekannte Dinge, erwähnt Illies und zieht diese wie Perlen auf seine erzählerische Schnüre. Und doch finden wir in diesem Mosaik manchmal noch ein neues Wissen, aber ganz bestimmt eine Bestätigung aus dem Tumult der Gefühle. Die jeweils älteren Kinder erscheinen mit kleinen Konversationskärtchen, die sie dezent neben das Besteck klemmen, bei Tisch. Der Vater erwartet auch in diesen durchgeschüttelten Umständen eine gepflegte Konversation bei Tisch. Jahre- und Jahrzehntelang haben die Kinder, vor allem Golo und das Mönchen regelrecht Angst vor diesen Mahlzeiten. Monika schlüpft dann hinterher in die Küche, um die Mahlzeit nachzuholen.

Diese Familie sei eine "Kältekammer", schreibt Illies. "Es ist doch eine wirklich erlauchte Versammlung, aber einen Knacks hat jeder", so hat Thomas Mann seine Familie in einem Brief an seinen Sohn Klaus beschrieben.
Ein Weihnachtsgeschenk, dessen man sich nicht schämen muss.