so schön geschrieben

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meisterlampe Avatar

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Inhalt siehe Klappentext.
Ich habe schon einige Bücher von Anne Stern gelesen und gerade die Lichterfelde-Reihe gehört - ich mag den Schreibstil der Autorin, egal, ob es ein historischer Roman ist oder etwas Aktuelles, wie das neueste Buch „Wenn die Tage länger werden“. Der Titel ist mir in letzter Zeit öfter begegnet, das hauptsächlich grün gehaltene Titelbild mit der Frau, die auf dem Bauch auf der Wiese liegt und von Äpfeln umgeben ist, fällt einfach auf. Die Geschichte um die alleinerziehende Lisa Fischer, Musiklehrerin Ende 30 mit Fast-Schulkind Paul und kaum Verbindung zu ihrer Mutter Barbara, ist überfordert, weil sie nun 3 Wochen Ferien füllen und rumkriegen muss, idealerweise mit Familienforschung und der Bekanntschaft einiger Menschen, auf die Lisa sonst nicht zugegangen wäre, während Sohn Paul mit Vater Janusz nach Polen reist. Ich selbst hätte keine Probleme, 3 Wochen ohne meine Kinder/Familie „auszuhalten“, da würde mir genug einfallen. Mir tut es leid für Lisa, dass sie seit ihrer Kindheit keinen Draht und auch als Erwachsene kaum Kontakt zu ihrer Mutter hat, und wenn, dann hat diese bereits alles geplant und durchgetaktet und sieht zu, dass die Tochter, die offensichtlich nicht ganz ihren Erwartungen entspricht, bald wieder geht. Zur Musik und der Geige kann ich nichts sagen, da ich weder musikalisch bin, noch ein Instrument spiele. Den Einblick in Hans‘ Geigenbauerwerkstatt finde ich anschaulich beschrieben, der Mann lebt trotz seines hohen Alters für die Instrumente, das merkt man. Ihn interessiert die Geschichte um Lisas Geige, obwohl eine Reparatur vermutlich ausgereicht hätte. Aber so spüren sie in der Vergangenheit nach Geheimnissen, die, warum auch immer, nicht zur Sprache gebracht werden sollten. Barbara ist keine große Hilfe dabei, eher deren Nachbarin Ilse, obwohl sie das nicht tun müsste. Die Hilfe kommt von anderer, unerwarteter Seite und ich finde diesen Kontakt wirklich sympathisch.
Auf den ersten Blick ist Hans‘ Tochter Ute mürrisch, launisch, sicherlich nicht die erste Wahl als beste Freundin. Mag an ihrer Krankheit und der damit verbundenen Angst vor der Zukunft liegen, oder es ist einfach ihre Art. Ich finde, wenn man, in diesem Falle Lisa, sie etwas länger beobachtet, trifft, sich mit ihr unterhält, sofern sie denn etwas preisgeben will, könnte sie tatsächliche eine gute Gesprächspartnerin, Verbündete oder sogar Freundin werden - eine, die sich auf das Wesentliche beschränkt und nicht lange rumlabert, um es direkt auszudrücken. Die gemeinsamen Aktionen scheinen jedenfalls beiden Frauen gutzutun und lenkt beide vor der kommenden Zeit mit Ungewissheit und Angst ab.
Der Schauplatz Freiburg (und Umgebung) mit den Bächlein erinnert mich an einen schönen Urlaub im Schwarzwald, von dort haben wir einen Ausflug nach Freiburg unternommen. Bei uns waren die Rinnen voller Wasser, die Kinder haben, da waren sie noch klein, im Wasser rumgepanscht. Eine schöne Stadt, ich erinnere mich auch an ein ganz besonderes Spielzeuggeschäft, direkt daneben war ein Bach/Fluss mit „Krokodil“. Und auf dem Schauinsland waren wir natürlich auch. Schön, dass diese Orte in Lisas, Barbaras und Utes Geschichte einfließen.
Die Nazi-Vergangenheit von Lisas Großvater überschattet die Freude über die Geige, aber totschweigen bringt im Nachhinein auch nichts mehr (Barbara war da wohl anderer Meinung). Warum wirkt sie immer so kalt und gibt Lisa das Gefühl, nicht ausreichend zu sein? Ein klärendes Gespräch ist dringend nötig und ich finde sowohl die Entwicklung zwischen Tochter und Mutter ziemlich gelungen, wenn auch langsam und in kleinsten Schritten, als auch Lisas eigenes Leben, für das sie sich nach der Sommerpause entschieden hat. Ein flüssig zu lesender Roman über 383 Seiten mit schönen Momenten, traurigen Stellen, nachdenklichen Passagen, insgesamt sehr „rund“ und Kandidat für eine Leseempfehlung mit 5 Sternen.