Was für ein Debut!

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Was für ein Debut, das die junge österreichische Autorin Anna Maschik, Jahrgang 1995, hier vorgelegt hat. So ungewöhnlich und originell wie der Titel ist der gesamte Text.
Der titelgebende erste Satz legt den Ton und das Setting des Romans fest, führt er doch in eine archaisch anmutende Welt.
Es beginnt mit einer illegalen Hausschlachtung während des Zweiten Weltkriegs auf einem Bauernhof in Norddeutschland. Wer hier ganz allein ein Schaf schlachtet ist Henrike, die Urgroßmutter von Ich- Erzählerin Alma. Ehemann Georg und Sohn Benedikt sind an der Front, aber wenn sie heimkehren will die Bäuerin Fleisch und Würste für sie bereithalten. Ein Schwein heimlich töten wäre zu gefährlich, denn „Schweine verraten dich mit ihrem entsetzlichen Geschrei, die Schafe aber sterben still.“
Dass Tod und Geburt eng beieinanderliegen, nicht nur in diesem Roman, macht die Autorin gleich mit dem nächsten Abschnitt deutlich. „Wir betreten die Geschichte durch die Innereien eines Schafes und wie auch ich die Welt betreten habe: durch einen Schnitt im Unterleib. Die Nabelschnur hat sich dreimal um meinen Hals gewunden wie ein Strick, und so schneidet die Hebamme, ihr Name ist Anna, meiner Mutter einen lachenden Mund in den Bauch, holt mich heraus und näht ihr das Lachen zu einem schiefen Lächeln zu. Ich möchte mich vorstellen: ich bin Alma und meine Erzählung ist eine Eingeweideschau…“
Alma fungiert als allwissende Erzählerin und sie geht weit zurück in der Genealogie ihrer Familie.
Henrike, die Urgroßmutter, kommt mit dem neuen Jahrhundert zur Welt. Sie ist die Älteste von fünf Geschwistern und sie ist dreizehn, als die Mutter stirbt. Nun muss sie sich um den Haushalt und die jüngeren Brüder kümmern. Der Vater fällt im Ersten Weltkrieg und Henrike braucht einen Mann für die viele Arbeit auf dem Hof. Das erste Kind, Sohn Benedikt, „ ein verwunschenes Kind“, kommt schlafend zur Welt und wird erst als junger Mann aufwachen. Tochter Hilde hält nichts auf dem Hof. Sie wird schwanger von einem österreichischen Soldaten und folgt diesem nach dem Krieg in seine Heimat. Dort kommt als drittes Kind Miriam zur Welt, die Mutter von Alma.
Anna Maschik braucht nicht viele Seiten für ihre vier Generationen umspannende Familiengeschichte. Das gelingt ihr, indem sie sich auf wenige prägende Ausschnitte beschränkt. Vieles steht zwischen den Zeilen.
Und vieles wiederholt sich. Das Schweigen zwischen den Figuren, die Bevorzugung einzelner Kinder, die Liebe zur Natur.
Anna Maschik macht ihre Geschichte vorrangig an den Frauenfiguren fest. Jede hat Schwierigkeiten mit ihrer Rolle als Mutter und jede möchte es anders, besser machen. Trotzdem, oder gerade vielleicht deshalb, verfallen sie in die gleichen Muster.
Die einzelnen Episoden werden durch Listen ergänzt, so z.B. eine knappe Aufzählung der Mahlzeiten, die die Großmutter kocht, aber auch solche:
„Dinge, die hängen:
Das Schaf am Haken
Die Schinken in der Räucherkammer
Der Urgroßvater am Balken
Die Puppen an der Deckenlampe
Das Kind an der Nabelschnur“
Eine weitere Besonderheit des Romans sind die magischen Elemente, die sich neben den realistischen Beschreibungen des Alltäglichen, zuhauf finden lassen. So wird das Gemüse im Garten blass angesichts des Todes, ein Kind verschläft viele Jahre seines Lebens, ein anderes erscheint dem Bruder als ein Stück Holz, Menschen werden zu Pflanzen usw.
Und zwei alterslose Figuren durchziehen den ganzen Roman, sind nicht gebunden an Ort und Zeit. Das ist zum einen Anna, die Hebamme des Dorfes, die bei jeder Geburt den Müttern zur Seite steht, aber auch bei unerwünschten Kindern Abhilfe weiß. Und am Ende eines Lebens erscheint Nora, die Leichenfrau, die unter ihrem schwarzen Kleid bunte Farben trägt. Tröstlich auch die Vorstellung, dass auf die Verstorbenen schon ihre Vorfahren warten, die vorangegangen sind.
Obwohl ich ansonsten kein Freund von surrealen Texten bin, so fügen sich hier die phantastischen Elemente hervorragend in das Gesamtkonzept des Romans.
Anna Maschik hat mich mit ihrem Debut mehr als überzeugt. Ihr Gefühl für Rhythmus und Magie, ihre poetische Sprache und ihre eigenwillige Erzählform wirken lange nach.