Ein ungewöhnlicher Fall und Schottland pur

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gelis Avatar

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Bücher brauchen verlagstechnisch Schubladen. Dieses Buch ist in der Schublade „Psychothriller“ gelandet, weil das wohl am ehesten passt. Normalerweise nicht mein Genre, aber zum Glück habe ich mich von diesem „Label“ nicht vom Lesen abhalten lassen.

Opfer oder Täter? Das war die Frage, die sich mir schon direkt beim Lesen der Leseprobe gestellt hatte und die sich weiter durch das Buch zog.

Für mich persönlich war schon allein der Schauplatz der Geschichte ein absolutes Highlight: die Nordwestküste Schottlands. Der Ort Kinlochbervie liegt in der Nähe von Durness und Rhiconich - dort bin ich schon gewesen und habe somit Land und Leute in klaren Bildern vor Augen. Karen Winter gelingt es in ihren Ortsbeschreibungen die Landschaft und die Menschen dort lebendig werden zu lassen. Super!

Die Geschichte beginnt im örtlichen Pub aus der Sicht von Peter, der sehr verwundert darüber ist, dass der gerade eingetroffene deutsche Tourist Julian ein Einzelzimmer bucht, denn Peter hatte ihm vor wenigen Tagen auf einer Bootstour die Küste gezeigt - zusammen mit Julians Frau. Die beiden hatten auf seinem Boot einen Streit, den Peter so furchtbar fand, dass er sogar Sorge um sein eigenes Leben hatte. Genaueres können ihm seine Kumpel aber nicht entlocken.
Und siehe da, im zweiten Kapitel, nun aus Julians Sicht, meldet er seine Frau bei der Polizei als vermisst. Es wird ein Polizeikollege aus Inverness hinzubeordert, der ursprünglich aus dem Ort stammt.

Die Erzählweise aus den unterschiedlichen Blickwinkeln hat mir ausgesprochen gut gefallen und die eingeflochtenen Geschichten von Peter und John lassen auch diese Nebenfiguren sehr lebendig werden und die Erzählung bereichern. Johns Art zu ermitteln, fand ich beindruckend. Die Aussage der Pflichtverteidigerin, er würde den Fall unvoreingenommen behandeln, hat sich für mich bewahrheitet. Obwohl er nach Lauras Verschwinden vermutet, Julian hätte sie umgebracht, hat er hauptsächlich versucht, die Wahrheit herauszufinden und zu verstehen. Auf seiner Suche bis er des Rätsels Lösung erkennen kann, wird auch der Leser auf die ein oder andere falsche Fährte geschickt. Julians Vergangenheit und wie diese sein weiteres Leben beeinflusst und damit diesen Fall verursacht, ist eine ungewöhnliche Geschichte. Das Ende hat noch ein paar unerwartete Wendungen bereit. Klasse gelöst! Ich muss allerdings zugeben, für mich hat sich das Buch eher wie ein Regionalkrimi gelesen. Es war spannend und interessant, aber nicht „thrilling“. Ich konnte das Buch zwischendurch auch problemlos aus der Hand legen. Trotzdem ist es eine tolle Geschichte, bei denen die Menschen und ihr persönliches Schicksal im Mittelpunkt stehen und nicht ein auf Spannung und Thriller getrimmter Fall. Meinen Geschmack hat das Buch damit genau getroffen. Wer allerdings einen rasanten Thriller erwartet, ist vielleicht ein wenig enttäuscht.