ein aktuelles Thema, aufwühlend beleuchtet

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hiclaire Avatar

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Für seinen neuen Roman wählt Marco Balzano ein schon seit langem aktuelles Thema, über das ich bisher noch nichts in Romanform gelesen habe. Stellvertretend für viele osteuropäische Frauen ist es hier Daniela, die ihre Familie über Nacht verlässt, weil sie keinen anderen Ausweg sieht ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Vielleicht wäre es gerade für die Kinder leichter zu ertragen gewesen, hätten sie vorher in der Familie darüber gesprochen und die Entscheidung gemeinsam getroffen. Aber so ist es nicht gelaufen und am härtesten trifft es ihren Sohn. Nacheinander verlieren Danielas Kinder ihre Bezugspersonen, fühlen sich im Stich gelassen. Die ältere Schwester Angelica kommt besser damit zurecht als ihr zwölfjähriger Bruder Manuel, der zunehmend den Halt verliert. So oder so ähnlich läuft es auch in anderen, vergleichbaren Familien, das schimmert durch. Doch die Geschichte bleibt eng an dem Schicksal von Danielas und ihrer Kinder, aus deren jeweiliger Perspektive die drei Teile erzählt werden.

Obwohl mir die Figuren nicht nah gekommen und mir auch ihre Denk- und Handlungsweisen oft fremd geblieben sind, hat mich dieses Buch tief berührt. Weil es eindringlich erzählt wird, für meinen Geschmack manchmal etwas zu eindringlich und emotional, aber in erster Linie weil es so erschreckend aktuell ist. Und weil man bzw. ich mir bisher noch kaum Gedanken gemacht habe, welches Leid dahinterstehen kann, wenn es heißt „wir haben jetzt eine Polin…“ (die Nationalität nur als Beispiel). Sicher muss es nicht immer so dramatisch laufen wie in dieser Geschichte, aber es fühlt sich durchaus authentisch an.

Hat es mir gefallen? Ich fand es beklemmend. So viele negative Gefühle und Bitterkeit, gerade zwischen Mutter und Tochter, die Familie und deren Zusammenhalt zerstört, jeder von jedem enttäuscht – nicht leicht zu lesen (trotz flüssiger Erzählweise), trotzdem bin ich froh es gelesen zu haben, aus den oben genannten Gründen.

Marco Balzano hat intensiv recherchiert und viele Interviews mit Betroffenen geführt, erklärt er im Nachwort. Herausgekommen ist ein eindringlicher Roman, der sich in erster Linie auf emotionaler Ebene mit der Problematik befasst und nichts beschönigt. „Das Leben in der Fremde bricht auch dem Stärksten das Rückgrat“ heißt es an einer Stelle im Buch. Dafür gibt es sogar einen Namen – die Italienkrankheit. Und weiter im Nachwort: „Den ausgewanderten Frauen gelingt es zwar meist, die wirtschaftliche Lage der Familie zu verbessern, doch der Preis, den sie auf emotionaler Ebene zahlen, ist hoch: weil das Fortgehen die eigene Identität verändert und vor allem weil es Mütter und Kinder einander entfremdet.“ Gut, dass diesem Thema Aufmerksamkeit gewidmet wurde.