Familiendrama aus drei Perspektiven

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Pflegenotstand scheint nicht nur ein deutsches Problem zu sein, auch andere europäische Länder haben damit zu kämpfen. Der norditalienische Autor Marco Balzano hat sich dieser brisanten Thematik angenommen, indem er das Schicksal rumänischer Frauen beleuchtet, die als Arbeitsmigrantinnen nach Italien gehen, um dort mitunter illegal in der häuslichen privaten Altenpflege tätig zu sein.

Genau das ist das Schicksal der Protagonistin Daniela. In ihrer Heimat, einem kleinen „Geisterdorf“ in Rumänien, fehlt ihr die Perspektive, ihr Mann hat seit Monaten keine Arbeit, trinkt gerne und kommt seinen Familienpflichten in keiner Weise nach. Eine Freundin hat ihr die Tätigkeit als Altenpflegerin in Mailand schmackhaft gemacht. Daniela möchte ihren Kindern etwas bieten können und ihnen den Aufstieg sichern, für den eine gute Schulbildung die Grundlage bildet. Gute Schulen kosten in Rumänien Geld. Daniela verlässt ihre Familie ohne Vorbereitung, ohne Erklärung, ohne Verabschiedung…

Im ersten Teil kommt ihr damals 12-jähriger Sohn Manuel zu Wort. Der Junge ist anfangs völlig erschüttert über die Abreise seiner Mutter. Nur langsam gewöhnt er sich an die veränderten Umstände. Zunächst übernimmt seine 20-jährige Schwester Angelica die Mutterrolle. Der Vater versagt erneut, indem er eine Arbeit als Fernfahrer annimmt und fortan nicht mehr bei seinen Kindern lebt. Als Angelica zum Studium das Dorf verlässt und Manuel einen weiteren Verlust verkraften muss, verliert dieser immer mehr den Halt. Er vermisst seine Mutter, fühlt sich einsam, kommt aus der seelischen Balance. All das findet in einem tragischen Ereignis einen Höhepunkt, der den ersten Teil des Romans beendet und Daniela zurück nach Rumänien führt.

Im nächsten Teil schildert Daniela ihre Sichtweise, die naturgemäß von der Manuels abweicht. Unbestreitbar wird deutlich, dass Daniela nur das Beste für ihre Kinder will, ihr aber die Konsequenzen ihres Handelns nicht klar sind. Auch sie fühlt sich fremd in Italien, ihr Aufenthalt dort ist kein Zuckerschlecken. Die Arbeit ist hart, der Lohn gering, oft ist sie der Willkür der von ihr betreuten Senioren oder deren Angehörigen ausgeliefert. Als Leser bekommt man einen sehr guten Einblick in diese Verhältnisse. Daniela leidet unter dem Verlust ihrer Kinder, fühlt sich als Versagerin. Natürlich hat sie auch schöne Momente in der Fremde, diese sind aber nur von kurzer Dauer oder werden überlagert. Entgegen der anfänglichen Hoffnungen verlängert sich ihr Engagement in Italien Jahr um Jahr.

Im dritten Teil berichtet Angelica, wie sie den Weggang der Mutter sowie die Entwicklung ihres Bruders erlebt hat. Diese letzte Perspektive rundet den Roman aus meiner Sicht wunderbar ab und liefert wichtige ergänzende Szenen.

Das Thema ist hochaktuell. Frauen aus ärmeren Gegenden Europas verlassen ihre Familien, um betagte Senioren in wohlhabenderen Ländern zu pflegen und ihnen dadurch das Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Welche Auswirkungen hat das auf die Familien der Pflegenden, welchen Preis müssen sie zahlen? Der Roman zeigt Licht- und Schattenseiten dieser sozialen Entwicklungen auf, zeichnet ein glaubwürdiges Bild der Realität. Balzano beleuchtet insbesondere den Mikrokosmos Familie, indem er drei Stimmen getrennt voneinander auftreten lässt. Das schafft große Nähe und Intensität. Mir hat das gut gefallen. Das Buch macht neugierig, sich intensiver mit der Thematik der Arbeitsmigration zu beschäftigen, insbesondere dann, wenn man selbst die Verantwortung für pflegebedürftige Familienangehörige hat. Naturgemäß kennt man hierzulande nur die eine Seite der Medaille, macht sich wenig Gedanken darüber, wie die zumeist polnischen Hilfskräfte die Trennung von ihrer Familie empfinden. Der Autor lässt am Ende bewusst Fragen offen, die zum Nachdenken und zur Diskussion anregen. Bei all der geschilderten Dramatik kann es kein reines Happy End geben, Daniela kann die Uhr ja nicht zurückdrehen.

Mit „Wenn ich wiederkomme“ ist Balzano erneut ein sehr lesenswerter Roman gelungen, der sich spannend in einem Zug lesen lässt. Den unterschiedlichen Perspektiven wurden auch sprachlich differenzierte, aber insgesamt gut verständliche Stimmen gegeben, was deren Authentizität erhöht. Die Protagonisten sind glaubwürdig und komplex angelegt, man bekommt tiefe Einblicke in ihr Seelenleben und ihre Konflikte. Im Mittelteil sind meines Erachtens jedoch einige Nebencharaktere recht stereotyp geraten, was der Dramaturgie zu Gute kommen mag, mich aber gestört hat.

Insgesamt hat mich der Roman nicht in dem Maße packen können wie sein Vorgänger „Ich bleibe hier“, der im letzten Jahr bei Diogenes erschienen ist. Dennoch empfehle ich auch „Wenn ich wiederkomme“ sehr gerne allen Lesern, die sich gerne mit aktuellen gesellschaftlichen Themen auseinandersetzen. Von Marco Balzano kann man kaum enttäuscht sein; es ist erstaunlich, welch umfangreiche Themenpalette er fesselnd und gekonnt umsetzen kann.