Wichtige Thematik spannend aufbereitet

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fraedherike Avatar

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"Ich arbeite bei einem Alten zu Hause und hab das Gefühl, ich ersticke. Das Leben bei ihm erschien mir wie ein Ausweg, dabei ist es ein Gefängnis." (S. 164)

Sie opfern sich auf, lassen ihre Familie zurück, um in einem anderen Land Geld zu verdienen – doch was bleibt, ist Entfremdung, ist Sehnsucht und Angst, ist Einsamkeit in der Ferne. Auch Daniela ist diesen Weg gegangen: Nach langer Vorbereitung verlässt sie ihre Familie, ihren Mann und ihre beiden Kinder, die große Tochter Angelica und den kleinen Matteo, um in Mailand als Krankenpflegerin zu arbeiten – und ihrer Familie eine bessere Existenz zu ermöglichen; Bildung, Kleidung, Essen. Währenddessen sieht sich Angelica, daheim in dem kleinen Dort Radeni in Rumänien, gezwungen, für die Familie zu sorgen, sehnsüchtig warten sie auf das Geld der Mutter, um sich ein Handy zu kaufen, neues Guthaben, um das Haus zu renovieren. Und ihre Mutter arbeitet, kämpft, stellt sich allen Aufgaben, immer das Wohl ihrer Kinder im Hinterkopf. Als Matteo in einen lebensbedrohlichen Unfall verwickelt wird, muss sie eine alles verändernde Entscheidung treffen.

"Italienkrankheit stand da. Damit bezeichnen Psychiater eine spezielle Form von Depression, die jene befällt, die jahrelang fern von zu Hause und den Kindern leben, um anderswo Alte, Bedürftige und Kranke zu versorgen." (S. 155)

In seinem neuen Roman „Wenn ich wiederkomme“ (OT: Quando tornerò, aus dem Italienischen von Peter Klöss) behandelt Marco Balzano ein unglaublich wichtiges, intensives Thema, das in der Gesellschaft viel zu wenig Aufmerksamkeit erhält. Anders als in Deutschland, wo es Menschen offensteht, in einem Pflegeheim Hilfe im Alltag zu erhalten, in Krankheit und Hilflosigkeit Unterstützung zu erhalten, werden in Italien private Pflegepersonen engagiert. Ein häufig existenzsichernder Weg aus der fatalen Armut, wenn auch nicht immer mit positiven Effekten verbunden. Sehr eindrücklich, menschlich und warm beschreibt Marco Balzano aus drei verschiedenen Perspektiven, wie sich eine Mutter aufmacht, in der Ferne Geld zu verdienen, immer unter der Prämisse, dass, ‚wenn sie wiederkommt‘, alles besser sein wird; doch sie alle leiden unter der Entfernung, die Mutter wie die Kinder, die gezwungen sind, ihre Kindheit frühzeitig abzuschließen, alleine für sich zu sorgen.

Am meisten gefiel mir dabei der erste Abschnitt, die Geschichte aus Matteos Perspektive. Als jüngster hat die Trennung von seiner Mutter den nachhaltigsten Einfluss auf seine Entwicklung, sein Verhalten und es hat mich sehr berührt, welche Hoffnungen er in seine Mutter hegt, nachdem der erste Groll über den abrupten Aufbruch verflogen ist. Auf eine andere Art sehr intensiv und einschneidend ist hingegen die direkte Darstellung der Mutter, die von den einzelnen Patienten berichtet, die sie betreut, von den Schwierigkeiten, eine Anstellung zu finden, der Anstrengung und der Sehnsucht nach ihrer Familie – und neuen Möglichkeiten, die sich auftun. Angelicas Perspektive zum Ende entglitt mir, ich konnte ihrer trotz des Respekts, den ich vor ihrer Aufopferung habe, nicht handhabbar werden.

Marco Balzano setzt mit „Wenn ich wiederkomme“ ein wichtiges Statement hinsichtlich der sozialgesellschaftlichen Situation der osteuropäischen Länder, über die wir uns im reichen Westen gar nicht bewusst sind. Er zeigt wichtige Perspektiven und Blickwinkel auf und untermalt sie mit einer exemplarischen, emotional ergreifenden Geschichte, die bleibt, die nachhallt und nachdenklich stimmt, mich allerdings nicht in Gänze für sich einnehmen konnte.

Herzlichen Dank an den @diogenesverlag für das Rezensionsexemplar!