Zerrissene Familien

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kleine hexe Avatar

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Diogenes legt uns ein schmerzhaftes Buch vor. In Osteuropa müssen viele Erwachsene ihre Kinder verlassen, entweder in der Obhut von Anverwandten oder ganz allein, und im westlichen Ausland Arbeit zu suchen. Die Probleme die sich daraus ergeben sind das Thema dieses wunderschönen doch auch schmerzhaften Romans.
Es sind mannigfache Probleme. Im Heimatland bleiben die Kinder praktisch Waisen zurück, die paar Wochen die die Eltern im Jahr wieder zurückkehren sind viel zu wenig, um die Bindung Mutter-Kind oder Vater-Kind wieder herzustellen. Die Eltern entfremden sich von den Kindern. Schlechte schulische Leistungen, Verwahrlosung, Entwurzelung sind die Folgen auf Seiten der Kinder. Und die Eltern? Es sind hauptsächlich Frauen, die ihre Familie zurücklassen, von der materiellen Not und Arbeitslosigkeit oder zu geringer Verdienst, um die Familie durchzubringen, um in der Fremde Arbeit zu suchen. Untrainiert aber voll guten Willens, beginnen sie alte Menschen zu pflegen. Neben den körperlichen Gebrechen der Patienten, müssen sie auch mit Demenz, Alzheimer oder Krebs der Menschen die sie pflegen, fertig werden. Sie sind ungeschult, haben von häuslicher Pflege keine Ahnung, aber sie packen es an. Meistens arbeiten sie illegal, die Arbeitgeber weigern sich, diesen Frauen einen Vertrag zu geben, so können sie sich auch nicht wehren, wenn sie plötzlich entlassen werden, sei es, weil der alte Mensch stirbt, oder ins Krankenhaus kommt oder eine Äthiopierin die Pflege für weniger Geld macht. Dabei werden diese osteuropäischen Frauen ständig von Sorgen um die Familie daheim geplagt: ob die Kinder gut in der Schule zurechtkommen, ob es den Großeltern gelingt, die Kinder vor der Verwahrlosung zu bewahren, ob die Kinder nicht ins verbrecherische Milieu abrutschen, ob der Ehemann zu Hause Arbeit sucht oder das geschickte Geld versäuft, usw.
Marco Balzano hat sich dieser Problematik angenommen, er lässt sowohl die Kinder als auch die Mutter zu Wort kommen. Wir erleben mit Daniela, die in Italien alte Menschen pflegt oder als Kindermädchen arbeitet und mit ihren Kindern, Manuel und Angelica, die in Rumänien Schule, respektive Hochschule besuchen. Alle drei erzählen ihre Geschichten unaufgeregt, leise, wie ihr Leben. Sie bäumen sich nicht auf, sie wissen alle drei, die Mutter muss im Ausland arbeiten, damit die Kinder in Rumänien gute Schulen besuchen können, damit sie studieren können, obwohl es so schwer und schmerzhaft ist, ohne Mutter zu sein. Sie bringen alle auf ihre Art Opfer, unaufdringlich, bescheiden.
Und genau das ist es, was dieses Buch so ergreifend macht. Ohne Pathos und große Gefühle lautstark zu verkünden, lernen wir liebenswerte und liebevolle Menschen kennen, die exemplarisch für tausende Frauen aus den osteuropäischen Ländern stehen.