Form, Farbe und Bewegung

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New York, 2001. Bei Sotheby’s kommt ein unscheinbares Objekt unter den Hammer. Ein schwarzes Notenheft, das keine Musik enthält. Dafür die Tagebucheinträge einer jungen Frau, die von 1919 an in Weimar das Bauhaus besucht hat. Martha Wetzlaff, aus Pommern, auf der Suche nach der Moderne, sich selbst und einer Erklärung für das was sie sieht, hört und empfindet und wie sie sieht, hört und empfindet. Denn für Martha ist ein Ton nicht nur ein Laut in einer bestimmten Höhe, er besitzt andere Dimensionen, die mit den Erwartungen und dem Verständnis anderer von Musik oder Kunst nicht übereinander zu bringen sind. Ein Freund der Familie spürt ihre andere Wahrnehmung und hat eine Idee für sie. So wie das Bauhaus Kunst neu definiert, könnte auch Martha dort herausfinden, wie ihre Begabung zu verstehen, zu definieren ist. Und so bricht Martha auf, in ein neues Leben, lernt, und erlebt in Weimar eine ganz andere Gesellschaft als die im Land am Meer, in ländlichen Pommern zu Hause. Und nach einiger Zeit geschieht es tatsächlich, dass sie eine Möglichkeit findet, Menschen findet, die verstehen, was in ihr vorgeht, wenn sie Musik hört und was sie hört, wenn sie Farben und Formen sieht, sich auszudrücken – im Tanz. Nicht dem Gesellschaftstanz oder dem klassischen Ballet, sondern einer rein empfindungsgesteuerten Ausdrucksform. Sie ist etwas Besonderes am Bauhaus und wird registriert von den anderen Besonderen in Weimar. Und weil Martha und ihre schwarze Kladde untrennbar sind, beginnen sich andere darin zu verewigen, Meister des Bauhaus, Künstler von globaler Bedeutung. Sie schaffen ein Werk, dass bei seinem Auftauchen erst Unglauben und Erstaunen hervorruft und dann zu einer Versteigerung bei Sotheby’s führt. Jahrzehnte verschollen entdeckt Thomas das Heft verborgen im Boden des Rucksacks, den seine Großmutter auf der Flucht aus Pommern mit sich führte. Martha war ihre Mutter und Thomas hält einen Schatz in den Händen…

„Wenn Martha tanzt“ ist ein Roman, der auf zwei verschiedenen Ebenen spielt: zum Einen wird Marthas Geschichte von ihrer Kindheit bis zu ihrer Flucht 1945 aus Pommern aus ihrer Sicht erzählt, zum anderen agiert Thomas im Jahr 2001 als Ich-Erzähler und berichtet um die Umstände des Tagebuchfundes und der Versteigerung in New York im Jahr 2001. Seine Teile der Handlung lesen sich wie ein Bericht, eine Schilderung von Ereignissen, sehr unmittelbar, oft in kurzen Sätzen, nüchtern. Sehr gut werden trotzdem seine Gefühle, von Verwirrung, Unglauben bis hin zu Neugier, Unsicherheit und Angst geschildert und transportiert. Er fühlt sich nicht wohl damit, zuständig zu sein für diese Aufgabe, betont mehrfach, sein Vater sei der Erbe, er fühlt sich weder der Großstadt noch dem Vorgang an sich, noch der erzielten Summe gewachsen. Trotz allem hat er eine starke Verbindung zu dieser unbekannten Urgroßmutter aufgebaut, über die die Großmutter genau so wenig berichtet hat wie über ihr gesamtes Leben an sich vor und während des Krieges.
Davon heben sich Marthas Passagen der Geschichte stark ab, da sie sich schon rein thematisch einfach unterscheiden: hier wird ihre persönliche Geschichte geschildert, ihr Kunstempfinden, ihr Kunstverständnis, ihre Gefühle für Menschen, ihr Leben in Weimar, die Begegnungen, die sie macht. Der Leser wird mitgenommen auf ihre Suche und gleichzeitig in eine unglaublich fesselnde Atmosphäre in Weimar Anfang der 1920er Jahre, die von Aufbruch, Kreativität und Leben sprudelt, doch leider nur von kurzer Dauer war.
Insgesamt hat mir „Wenn Martha tanzt“ gut gefallen. Vor allem ihre Zeit in Weimar ist für mich der stärkste Part des Romans, aber auch einfach deshalb, weil er für mich persönlich am spannendsten war, zum Weiterlesen über das Bauhaus und die Künstler und Kunstformen animiert hat.

Es gibt eine Sache, die mir überhaupt nicht gefallen hat, und das ist nicht das Ende des Romans, dass finde ich in Ordnung und schlüssig, aber das Ende der New York-Episode nenne ich es einfach mal, fand ich – ja was? Unnötig? Zu dick aufgetragen? Da der Autor betont, dass es sich um einen Roman handelt, sprich eine fiktionale Geschichte, gehe ich davon aus, dass es zwar Parallelen zu seiner Familiengeschichte gibt, z.B. die Herkunft aus Pommern, eine Vorfahrin, die in Weimar studierte, aber eben kein Tagebuch, dass versteigert wurde und einen Urenkel, der an einem bestimmten Tag seine Rückreise wieder angetreten hat. Also hätte man sich diese Verquickung doch besser gespart. FALLS es doch tatsächlich so war, hätte ich mir gewünscht, der Autor hätte das im Nachwort erwähnt, so hat er bei mir leider dieses „ach herrje, nicht auch noch das“-Gefühl hervorgerufen, dass die Sache an sich und das Buch! nicht verdient haben.

Hingegen ganz besonders gut hat mir der Stil gefallen, der für mich eine große Leichtigkeit transportiert hat und ich habe dieses Buch tatsächlich in äußerst kurzer Zeit gelesen, da mich die Geschichte wirklich sehr gefesselt hat.