Martha's Story

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Wenn Martha tanzt, Romandebüt von Tom Saller, 288 Seiten, erschienen im List Verlag.
Die Lebensgeschichte einer jungen Frau, die Anfang des 20. Jhd. in Pommern aufgewachsen ist und für ihre Zeit sehr unkonventionell und modern war.
Thomas Wetzlaff reist nach New York, dort wird ein Tagebuch versteigert, das Tagebuch seiner Urgroßmutter Martha, welches er im Nachlass seiner Oma entdeckt hat. Es enthält die Lebensgeschichte Marthas, welche um 1900 in Pommern geboren wurde. Dass sie etwas Besonderes ist, zeigt sich schon sehr früh. Sie hat einen zusätzlichen Kanal der Wahrnehmung, Martha kann Musik „sehen“. Eines Tages verlässt sie ihre Familie und geht nach Weimar an das dort neugegründete Bauhaus. Walter Gropius wird auf sie aufmerksam. Dort macht sie Bekanntschaft mit vielen berühmten Bauhaus-Künstlern die sich in diesem Tagebuch verewigt haben. Eines Tages kommt Martha mit einer kleinen Tochter zurück nach Türnow. Die Eintragungen datieren bis gegen Ende des zweiten Weltkrieges, dann verliert sich Marthas Spur. Was geschah an Bord der Wilhelm Gustloff?
Tom Saller schreibt in kurzen knappen Sätzen, eine Geschichte mit 2 Erzählsträngen. Zum Einen in der Gegenwart, verfasst im personalen Stil. Zum Anderen der historische Teil mit Marthas Lebensgeschichte. Die jeweiligen Kapitel sind mit dem Ort der Handlung und Jahreszahlen überschrieben, dadurch konnte ich mich zu jeder Zeit und eindeutig im Geschehen zurechtfinden. Die Kapitel die Marthas Erlebnisse beschreiben, sind umfangreicher und ich fand sie auch viel interessanter. Fremdsprachliche Begriffe, Briefe und Tagebucheintragungen erscheinen kursiv und heben sich dadurch deutlich hervor. Das Buch wird mit einem Aufkleber „Kopfkino“ beworben und das finde ich absolut passend. Saller schafft es hervorragend mit bildhafter Sprache und malerischen Worten auch in meinem Kopf, Kino entstehen zu lassen. Z.B. auf S.27 „Wie Kuchenteig, der beim Plätzchen backen durch die Mühle gedreht wird, dringt Musik aus dem großen Haus.“ Oder auf S.49 „Äpfel und Birnen ruhen friedlich nebeneinander in flachen Schalen“. Alle Personen handelten zu jeder Zeit logisch und nachvollziehbar. Besonders Martha ist ein faszinierender Charakter, ihre Fähigkeit Musik in Formen und Farben zu sehen und sie im Tanz auszudrücken haben mir besonders gut gefallen. Saller hat damit die Empfindungen eines Synästhetiker toll beschrieben… Der ganze Roman ist glaubhaft, weil viele reale Personen Teil der Handlung sind. Kandinsky, Klee, Gropius und Schlemmer dazu der gesamte Bauhaus Abschnitt waren für mich ein interessantes Thema, mit dem ich mich bis dahin noch nie richtig befasst habe. Ich konnte aus diesem Buch vieles mitnehmen. Die Figur Wolfgang ist mir auch sehr lieb geworden, obwohl über seine Vergangenheit vieles im Dunkeln blieb, weil er nie darüber gesprochen hat. Der Satz … die Beteiligten sprechen nicht darüber, seine Herkunft und Quellen drohen auszusterben….. sind sehr persönlich für mich, denn auch ich habe erst kürzlich von meinem Vater, Dinge aus der Kriegs- und Nachkriegszeit erfahren, die ich vorher nicht gewusst habe. Dass es am Ende noch überraschende Wendungen gab, hat die Geschichte nur noch unterhaltsamer und spannender gemacht. Unglaublich was ich auf 288 Seiten alles erlebt habe.
Ein toller Roman, ein gelungenes Debüt, Tom Saller – diesen Autor sollte man sich merken. Zweifellos 5 Sterne.