Pommern, Weimar, New York

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2001 ist Thomas Wetzlaff nicht ganz freiwillig in New York. Nach dem Tod seiner Großmutter hat er in deren Nachlass einen Schatz von immensem Wert gefunden. In einem schlichten Notenheft versteckt, fand er die Tagebuchaufzeichnungen seiner Urgroßmutter Martha. Das wirklich brisante darin ist, das Martha in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts wohl mit zu den Studentinnen des legendären Bauhaus in Weimar zählte und sich viele ihrer Mitstudenten in ihrem Buch verewigt haben. Skizzen von Paul Klee, Oskar Schlemmer und Lyonel Feininger machen diesen Fund spektakulär und könnten Thomas Familie auf den Schlag unfassbar reich machen. Doch wie kommt ein Mädchen aus eher einfachen Verhältnissen lebend, von Pommern nach Weimar?

Das 20. Jahrhundert ist geprägt durch zwei Weltkriege, Vertreibung, bittere Armut, Zerstörung, Zerfall von Staaten und Staatsformen aber auch von einem Lebenshunger, einer Aufbruchstimmung und einer ersten gewaltigen Emanzipationswelle. Seit 1919 dürfen Frauen wählen und haben Lehrfreiheit. Tom Saller lässt seine Protagonistin genau in dieser Atmosphäre heranwachsen und lässt durch sie die neue Lehranstalt für Industrie, Gewerbe und Handwerk in Weimar, besser bekannt als „Bauhaus“ wieder auferstehen. Er skizziert eine Familiengeschichte die nicht ganz unrealistisch ist. Sehr gut gefallen haben mir die fast wie nebenbei erwähnten später dann zu einigem Ruhm gekommene Persönlichkeiten und das Leben in Pommern zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Dabei erhebt er nie den Zeigefinger, hier meine ich insbesondere die Nazizeit. Er schildert die Ereignisse aus Sicht der Dorfbewohner, weit abgeschieden vom politischen Geschehen in Berlin, die sich der neuen Zeit wohl oder über anpassen. Die Mehrzahl erst nicht mitschwimmend mit dem braunen Sumpf, sich aber nur bedingt wehren können und viele sich ganz langsam anpassen um zu überleben . Genauso hat meine Oma diese Zeit immer beschrieben.
Eine ganz wunderbare Familiengeschichte, geprägt von vielen Tragödien und Schicksalsschlägen durch das politische Zeitgeschehen und der trotzdem der Zauber einer grandiosen Vergangenheit anhaftet. Ein wenig musste ich mich allerdings an den Schreibstil des Autors gewöhnen. Ich könnte jetzt jedoch nicht sagen, was mich störte, vielleicht war es wirklich nur etwas ungewohnt, die recht kurzen Kapitel, der Wechsel zwischen zwei großen Erzählsträngen und der Voranstellung von winzigen Fragmenten des Zeitgeschehens zwischen 1900 bis 1940. Nur einen winzigen Minuspunkt habe ich anzumerken. Die Verknüpfung mit einem weltverändernden Ereignis kurz nach der Jahrtausendwende in Amerika fand ich dann doch etwas übertrieben, obwohl es für die Geschichte schlüssig ist.