Ruhig erzählter, durchdacht konstruierter, wenig spannender dritter Fall für Hawthorne und Horowitz

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alekto Avatar

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“Wenn Worte töten” ist nach “Ein perfider Plan” und “Mord in Highgate” bereits der dritte Fall für den ehemaligen Scotland Yard-Mitarbeiter Daniel Hawthorne und seinen Biografen Anthony Horowitz. Dieser führt die beiden zum erstmals stattfindenden Literaturfestival auf die Kanalinsel Alderney. Dort sollen Hawthorne und Horowitz Werbung für ihr neues Buch, das zwar noch nicht erschienen ist, machen, um die Zahl der Vorbestellungen anzukurbeln. Bereits vor deren Abflug verhalten sich einige der anderen am Festival teilnehmenden Autoren wie etwa die französische Performance-Dichterin Maissa Lamar verdächtig. Vor Ort eskalieren die schwelenden Konflikte zwischen Fernsehkoch Marc Bellamy und dem unsympathischen Sponsor des Festivals Charles Le Mesurier, die sich von früher kennen. Le Mesurier, der seinen Wohlstand dem Betreiben eines Online-Kasinos verdankt, führt sich eher so auf als würde ihm das Festival gehören. Auch die Einwohner von Alderney stehen angesichts der geplanten Hochspannungsleitung, die über die Insel verlaufen soll, unter Strom. Das Zentrum der Aufmerksamkeit bildet Colin Matheson als Kopf des Entscheidungsgremiums, dessen Frau Judith das Festival organisiert. Und dann geschieht ein Mord.

Indem ich die beiden vorigen Bände der Reihe nicht kannte, ist mir der Einstieg in diesen Krimi durch dessen erstes Kapitel erleichtert worden. Darin wird ein beim Verlag angesetztes Meeting beschrieben, da Hawthorne dem Verlag vorgestellt werden soll. Das erweist sich als clevere Idee des Autoren, weil er dabei nebenher seine Hauptfiguren einführen, die Dynamik von deren Beziehung näher beleuchten und auf wesentliche Ereignisse aus den bisherigen Büchern Bezug nehmen kann.
Hawthorne ist lange Zeit als Polizist für Scotland Yard tätig gewesen, bevor er Privatdetektiv geworden ist und nun als Berater bei der Aufklärung schwieriger Verbrechen unterstützt. Anthony begleitet ihn bei seiner Arbeit, um darüber Romane zu schreiben. So ergibt sich eine moderne Version der klassischen Holmes-Watson Konstellation. Dieser Eindruck wird durch die eigenwilligen Gewohnheiten, die Hawthorne bei der Nahrungsaufnahme pflegt, seinen meist distanzierten Umgang mit anderen, obgleich er auch sehr charismatisch sein kann, wenn er denn will, und seine außergewöhnlichen Fähigkeiten zur Deduktion, die er nach seinem ersten Treffen mit Mitarbeitern des Verlags zur Schau stellt, über deren Probleme er eine ganze Reihe von Erkenntnissen gewonnen hat, verstärkt.
Dass Horowitz sich dafür nicht zu schade ist, sich auf die Rolle eines Watson-artigen Sidekicks zu beschränken, dem der echte Mehrwert fehlt, da er Schriftsteller und nicht Arzt ist, ist ein sympathischer Zug. So ist ihm Hawthorne nicht nur bei der Lösung ihrer Fälle in jeder Hinsicht überlegen, sondern kommt sogar besser auf dem Literaturfestival an, das an sich das Metier von Horowitz sein sollte. In der Art, wie der Autor sich selbst in sein Buch hineingeschrieben hat, hat er eine ungewöhnliche Meta-Ebene gefunden, die in ihrer Unterscheidung von Realität und Fiktion etwa in Hawthornes Abgrenzung von anderen aus Fernsehserien bekannten Ermittlern und seiner Auseinandersetzung mit Kriminalromanen konsequent durchgezogen wird. Zudem nutzt der Autor die Gelegenheit während des im Verlag angesetzten Meetings oder Besuchs eines Literaturfestivals interessante Kommentare, die wohl eher kleine Seitenhiebe darstellen, zum Verlagswesen im Speziellen und Literaturbetrieb im Allgemeinen mit einfließen zu lassen. Abgerundet wird die Einleitung von einer dem Roman vorangestellten Karte von Alderney und einem recht detailliert ausgefallenen Personenverzeichnis auf Seite 29 ff., das kurze Lebensläufe der am Literaturfestival teilnehmenden Schriftsteller enthält.

Obgleich sich einige der eingeführten Figuren schon zuvor verdächtig verhalten haben, dauert es recht lang, bis die eigentliche Krimi-Handlung in die Gänge kommt. Als der angekündigte Mord geschieht, der unerwartet brutal ausfällt, ist bereits ein Drittel des Buchs verstrichen. Aber auch danach wollte bei mir trotz des clever konstruierten, gut durchdachten Plots, der mich zum Mitraten animiert hat, nicht so recht Spannung aufkommen. Quasi jede der beteiligten Personen hat Geheimnisse zu verbergen, die erst nach und nach aufgedeckt werden. Gekonnt umgesetzt sind die Hinweise darauf, die vom Autor eingestreut werden. Da lag es dann an mir als Leser die verschiedenen Spuren passend zueinander zu sortieren und der relevanten Figur zuzuordnen. Dabei sind nur bedauerlicherweise an mindestens zwei Stellen Hinweise durch die Übersetzung vom Englischen ins Deutsche verloren gegangen. Diese liegen im sprachlichen Umgang oder in Wortspielen, die sich in der Form nicht in der deutschen Ausgabe wiederfinden, begründet. Beispielsweise hätte ich als passender empfunden, wenn der Spitzname, den Fernsehkoch Marc Bellamy in Internatszeiten erhalten hat, Teesieb anstelle von Tea Leaf lauten würde.
Dieser Roman sucht Spannung weniger durch actiongeladene Szenen wie Verfolgungsjagden oder einen klassischen Showdown, die Anthony Horowitz in seiner Alex Rider-Reihe bestens beherrscht, sondern vielmehr durch die Intensität, die in verschiedenen emotionalen Traumata steckt, zu erzeugen. Dabei will der Autor jedoch zu viel auf einmal, indem jede der auftretenden Figuren ihre Last zu tragen hat, die von Hawthorne enthüllt werden muss, um zu beurteilen, ob diese das Motiv für den Mord gewesen ist. An dieser Stelle wäre weniger mehr gewesen, wenn etwa auf den um eine Undercover-Operation kreisenden Handlungsstrang verzichtet worden wäre. Denn so ist dieser Krimi in seinem letzten Drittel eher zum pflichtschuldigen Abspulen von einer Szene nach der nächsten geraten, die lediglich der schlüssigen Auflösung der zuvor eingestreuten Hinweise dient. Das Drama, das in der Tragik des Lebens nicht nur des Mörders, sondern auch von Zeugen und anderen Beteiligten liegt und diese zu ihren Lügen, Betrügereien und weit schlimmeren Taten getrieben hat, ist für mich nicht greifbar geworden. Dafür hätte diesen Figuren mehr Zeit und Raum gegeben werden müssen. Zudem hätte ich mir gewünscht, dass der Autor den Mut besessen hätte, den in seinem Krimi vorherrschenden Ton insgesamt düsterer ausfallen zu lassen, um die darin eine Rolle spielenden menschlichen Abgründe besser ausloten zu können.