Ueber die Freiheit und das Loslassen

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linus63 Avatar

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Peter hat vor 15 Jahren seine Frau Sabine und seinen damals dreijährigen Sohn Lukas verlassen, weil er die Erwartungen seiner Umgebung an ein geregeltes Familienleben nicht mit seiner eigenen Persönlichkeit in Einklang bringen konnte. „Unterwegs“ heißt seine Bibel, ein Buch von Jack Kerouac, das ihn sein Leben lang begleitet hat und seine innere Rastlosigkeit und seinen Freiheitsdrang versinnbildlicht.

Am 70. Geburtstag seines Vaters steht er nach langen Jahren absoluter Funkstille seinem zu einem jungen Mann herangewachsenen Sohn völlig überraschend gegenüber. Peter, der selbst immer noch ein gespaltenes Verhältnis zu seinen Eltern hat, ergreift bei seinem Anblick die Flucht, da er sich von seinen Eltern bevormundet fühlt. Doch trotz der kurzen Begegnung realisiert er, dass er Lukas mit seiner Reaktion sehr verletzt hat und ihn eigentlich gerne kennenlernen möchte. Kaum versucht er, wieder Verbindung zu Lukas aufzunehmen, überrascht ihn die Nachricht, dass er unheilbar erkrankt ist ...

Astrid Ruppert zieht mich mit ihrem neuen Roman von Anfang an völlig in ihren Bann. Anschaulich, einfühlsam und detailliert beschreibt sie das tragische und prekäre erste Aufeinandertreffen von Vater und Sohn nach vielen Jahren, die Emotionen, die die Begegnung bei jedem von ihnen auslöst und welche Folgen sie für ihr weiteres Lebens hat. Nach und nach fließt in die Geschichte ein, wie sich die Lebensumstände bis zu dieser vertrackten Situation entwickelt haben. Dabei geht um alte Verletzungen und verharren in eingefahrenen Mustern, um Bewegung und Freiheit im Gegensatz zum Stillstand im Leben, um Beziehungen innerhalb der Familie und um loslassen. Peters gesundheitlicher Zustand verstärkt die Problematik und rückt zusätzlich mutige Ansichten zu den Themen "Lebensqualität" und "würdevoller Abgang aus diesem Dasein" in den Fokus, bis das Buch schließlich überzeugend und konsequent endet.

Die Figuren sind authentisch und greifbar. Sie sind nicht sehr umfassend charakterisiert, doch in den wesentlichen Zügen recht tiefgehend. Peters Persönlichkeit verkörpert eine Leichtigkeit, die die Tragik der Geschichte trotz aller Emotionen nicht dumpf und schwer ins Melodramatische abrutschen lässt, sondern den Leser seine Handlungsweisen verstehen und darüber hinaus an allen Gefühlen und Empfindungen teilhaben lässt. Besonders gut gefällt mir, dass es Vater und Sohn sind, die ihre Beziehung klären, ihre Emotionen zulassen, sie hinterfragen und so im Laufe der Handlung eine tiefgreifende Entwicklung durchlaufen, da dieser Part häufig den Frauen zugeordnet wird.

„Wenn´s am schönsten ist“ ist ein tolles Buch. Astrid Ruppert verpackt ernste und emotionale Themen in eine ansprechende und lesenswerte Geschichte, die mich ein wenig zum Nachdenken bringt.